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Treptow, ahoi! Roland Kaiser ist 47 Jahre alt. Sein halbes Leben hat er auf der "Berolina" verbracht. Manchmal schläft er sogar auf dem Ausflugsschiff.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ausflugsschiffe in Berlin: Die Dampfer-Saison ist eröffnet

Sonne, 18 Grad – schon sind die Dampfer los. Der Seemann Roland Kaiser plaudert hier über sein Berlin und die Liebe seines Lebens - das Ausflugsschiff "Berolina".

Im Steuerhaus fühlt Roland Kaiser sich wohl, vor allem jetzt: bei diesem Wetter, bei dieser Sonne, bei bis zu 18 Grad, die an diesem Sonntag erwartet werden. „Noch einen Abfahrtskaffee und dann los“, sagt Kaiser. Die ersten Gäste sind bereits an Bord seines Schiffes, der „Berolina“. Der 47-Jährige übernimmt die Touristenroute der „Historische Stadtrundfahrt“. Vier Mal geht’s durch die Innenstadt. Na dann: Leinen los.

Sechs Schiffe der Reederei Stern- und Kreisschiffahrt sind an diesem Wochenende in die Saison gestartet, ab Ostern sind auch die anderen 25 Ausflugsschiffe im Einsatz, erzählt Kaiser im Steuerhaus. Und nicht nur die: Auch andere Reedereien schippern an diesem ersten schönen Wochenende über Berlins Gewässer, Riedel ist mit sechs Booten unterwegs.

Roland Kaiser legt ab, endlich.

Drei Monate lag die Berolina im Hafen der Reederei im Treptower Park. In der vergangenen Woche hat die Crew geputzt, geschrubbt, gewischt. Jetzt stehen 120 Stühle auf dem Oberdeck in der Sonne. „Das Aufwachen ist nach dem Winterschlaf immer etwas stressig“, sagt Kaiser. Es gebe keinen Quadratzentimeter, den er noch nicht gestrichen oder geputzt habe. Denn Roland Kaiser ist seit 22 Jahren auf der Berolina tätig, neun davon als Schiffsführer – Kapitän darf er sich nicht nennen, „in der Binnenschifffahrt ist das ein bisschen anders“, sagt Kaiser. Die Brücke, in der der Schiffsführer sitzt, heiße nicht Brücke, sondern Steuerhaus. Und die Geschwindigkeit wird in Kilometer pro Stunde gemessen, nicht in Knoten.

Abends tätschelt er zum Abschied den Motor

Dies ist sein Schiff, seine Liebe, er hat ja sein halbes Leben mit dem Boot verbracht. „Man baut eine Beziehung zu seinem Schiff auf“, sagt er. „Ist das Schiff krank, fühle ich mich krank.“ Die Berolina sei wie alle Modelle ihres Typs: windanfällig. Abends, wenn die letzte Fahrt vorbei ist, tätschelt er – kein Scherz – zum Abschied den Motor.

1987 wurde die Berolina in Köpenick getauft, gemeinsam mit 60 anderen Schiffen. Die DDR ließ das Modell damals am laufenden Band herstellen. Einige der Fenster stammen noch aus dieser Zeit: „Das erkennt man an der braunen Tönung, die soll im Sommer die Hitze abhalten.“

Im Winter hat Kaiser wie die meisten seiner Kollegen Urlaub. „Von O bis O“, von Ostern bis Oktober dauert die Saison bei der Stern- und Kreisschifffahrt. Ein paar Schiffe fahren auch im Winter, „aber nicht die Berolina“. Auch wenn Saisonarbeit nicht ideal ist, das ganze Jahr könnte der Schiffsführer auf diesem Niveau nicht arbeiten: die Belastung sei zu hoch. „Wir arbeiten schnell mal sechs Wochen ohne freien Tag“, sagt Kaiser, in Extremfällen bis zu 14 Stunden täglich. Oft übernachtet die Crew im hinteren Teil des Schiffes. Der Bugsalon unter dem Steuerhaus ist eingerichtet wie eine Einzimmerwohnung: Zwei ausklappbare Feldbetten stehen in der Ecke, es gibt zwei Kühlschränke und eine Heizung. Die wird auch gebraucht, nachts sinken die Temperaturen noch immer bis auf den Gefrierpunkt.

Auf der Uhr an der Wand ist ein Leuchtturm zu sehen. „Hier ist das eine Leben, zu Hause das andere“, sagt Kaiser. „Die Familie kommt bei dem Beruf oft zu kurz.“ Einen Sohn hat der Schiffsführer, der früher oft auf seinem Schoß am Steuer saß. „Jetzt ist das zu uncool.“ Seine Spielsachen, ein Schweinchen und ein Polizist, stehen trotzdem noch im Steuerhaus, als Glücksbringer.

Ursprünglich wollte er Schiffskoch werden

Roland Kaiser mag seinen Beruf, trotz der Saisonarbeit und des Stresses. „Ich habe das große Glück, beinahe jeden Tag eine andere Strecke fahren zu dürfen“, sagt er. Ursprünglich wollte er Schiffskoch werden: „Seit ich ein kleiner Piepel war, hab ich bei meiner Mama mitgekocht.“ Er hat dann eine Lehre zum Matrosen der Binnenschifffahrt angefangen. „Ich dachte: Wenn ich das große Schiff nicht kriege, nehme ich halt das kleine.“

Immer wieder amüsant seien die „Sonntagsfahrer“, erzählt er. „Das sind Familien, die meinen, sie müssen am Sonntag einen Pflichtausflug unternehmen. Mindestens ein Elternteil würde aber viel lieber zu Hause auf dem Sofa liegen. Das merkt man am Gesichtsausdruck.“ Viel Kontakt habe er zu den Touristen in der Stadt nicht. „Bei den Fahrten ins Grüne ist mehr Zeit“, sagt der 47-Jährige. „In der Stadt geht es zu wie auf der Autobahn.“ Am liebsten fährt Kaiser Tagestouren zur Woltersdorfer Schleuse oder nach Alt Buchhorst. Hier moderiert der Schiffsführer noch selbst. In der Stadt laufe mittlerweile vieles über automatisierte Durchsagen. Wenn Zeit ist, erklärt er gern die Wasserschilder am Ufer. „Da stehen kleine weiße Schilder mit schwarzen Kreuzen drauf. Die bezeichne ich gern als Seemannsgräber.“ Dass die Schilder in Wirklichkeit jeden halben Kilometer markieren, hebt sich Kaiser bis zum Ende der Fahrt auf.

Laura Worsch

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