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Berlin: Die Farben der Nacht

So sieht man Berlin nur, wenn es dunkel ist: In den Aufnahmen des Fotografen Leo Seidel werden schlichte Bürotürme zu spektakulärer Architektur

Was ein paar Glühbirnen und Leuchtstoffröhren doch für einen Unterschied machen. Gezielt eingesetzt, verwandeln sie Berliner Bürotürme, die tagsüber wenig spektakulär aussehen, bei Nacht in dramatische Architektur, die an amerikanische Wolkenkratzer erinnert. Schlichte Brücken und Straßen werden bei richtiger Beleuchtung und dank langer Belichtung zu Kunstwerken, und schnöde Industriebauten sehen aus wie gigantische Skulpturen. Wer sich in der Abenddämmerung oder im Morgengrauen die Zeit nimmt, entdeckt im Dämmerlicht eine Gegenwelt zu jenem Berlin, das man Tag für Tag sieht.

Der Fotograf Leo Seidel, Jahrgang 1977, hat sich Zeit genommen und eine vom Kunstlicht verzauberte Stadt mit seiner Kamera festgehalten. „Die Farben der Nacht“ heißt das Buch, in dem Seidel die Ausbeute seiner Streifzüge präsentiert. Neben Klassikern wie den Neubauten am Potsdamer Platz, der Philharmonie oder dem Brandenburger Tor hat der Fotograf viele nachts beleuchtete Gebäude in ihrer Schönheit sichtbar gemacht, an denen man als Passant bislang achtlos vorüberging. Das Kraftwerk Mitte leuchtet in geheimnisvollem Silbergrau, die Eiserne Brücke an der Museumsinsel taucht die Spree in gleißend goldenes Licht, und die Türme des Kraftwerks Wilmersdorf erheben sich wie ein gigantisches Monument des Industriezeitalters über der dunklen Stadtautobahn.

Das Bärengehege im Tierpark Friedrichsfelde dagegen, ganz in grünes Licht getaucht, wirkt wie die Szenerie einer Verfilmung von Kiplings „Dschungelbuch“. Balu, den Bären, sucht man allerdings vergebens auf dem Foto, offenbar hat er sich in seine Bärenhöhle verkrochen. So hält es Leo Seidel grundsätzlich: Die Bewohner der nächtlichen Zauberpaläste tauchen bei ihm allenfalls in den Lichtspuren der Autos auf, die auf den Straßen Berlins ihre leuchtenden Bahnen ziehen. lvt

Leo Seidel: Berlin. Die Farben der Nacht. Prestel-Verlag, München. 96 Seiten mit 70 Farbbildern, Text in Deutsch und Englisch, 29,95 Euro.

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