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Berlin: Die Frau, an der Rot-Rot scheitern könnte

Wie Lucy Redler mit der WASG gegen die Parlamentsparteien kämpft und dem linken Fundamentalismus ein nettes Gesicht verleiht

Der Vergleich dürfte dem PDS-Fraktionschef wehtun. „Das ist wie früher mit Gysi“, findet der junge Mann, der soeben von Lucy Redler am Pankower Wahlstand eine WASG-Broschüre angenommen und mit ihr über Politik diskutiert hat. Hinterher ist Patrick Leschek, Angestellter und 27 Jahre alt, ganz angetan von der gleichaltrigen Redler. „Eine junge Partei muss ein Gesicht haben, das den Leuten das Programm verkauft“, sagt Leschek, der früher die SPD und auch mal die PDS gewählt hat. Am Sonntag will er vielleicht WASG wählen, sagt er – jene Partei, deren Berliner Ableger Gysi und anderen in der Linkspartei/PDS wegen ihres kompromisslosen Kurses Sorgen bereitet. Redler ist die Frau, an der Rot-Rot scheitern könnte – denn die WASG könnte ihr die entscheidenden Stimmen für eine Fortsetzung der Koalition abtrotzen.

Die WASG kommt in Umfragen auf drei Prozent oder mehr . Für eine radikal linke Partei ist das viel. Zum nicht unerheblichen Teil ist es das Verdienst von Lucy Redler. Die aus Hamburg zugezogene Sozialökonomin hat eine aus enttäuschten Sozialdemokraten, PDSlern und radikalen Träumern bestehende Sammelbewegung erst gespalten, dann den Rest geeint und ihr ein wahlkampftaugliches Gesicht gegeben. Mit ihrer Ausstrahlung, Eloquenz und Inszenierungen wie dem Protest vorm Nobelrestaurant Borchardt kommt die junge Frau bei Wählern an, die für die ideologisch fundierte Weltsicht der Berliner WASG sonst wohl kaum erreichbar wären.

Den Lucy-Effekt erleben sie in diesen Tagen öfter, sagt einer von Redlers Wahlhelfern. „Viele kennen Lucy, weil sie in den Medien ist, aber können mit der WASG nichts anfangen.“ Erst wenn sie eine der orangefarbenen Broschüren mit Redlers Porträt in der Hand halten, stellten sie die Verbindung her. Die Konkurrenz reagiert verärgert bis irritiert. Dass jemand für eine fundamentalistisch-staatssozialistische Politik argumentiert und gleichzeitig so locker und medientauglich daherkommt, beunruhigt PDS, Grüne und ein wenig auch die SPD. Bei einer Podiumsdebatte zum Thema „Wer ist links?“ wurde das kürzlich wieder deutlich. Da argumentierte Redler für die Verstaatlichung von Privatbetrieben, welche Leute entlassen, für die Zahlung von mehr öffentlichem Geld für den Nahverkehr oder den Rückkauf der teilprivatisierten Wasserbetriebe. Ihre Kontrahenten von der SPD, den Grünen und der Linkspartei/PDS rutschten dabei unruhig auf den Stühlen hin und her, fielen ihr spöttisch ins Wort oder schnitten Grimassen, wenn ihnen eine Aussage besonders missfiel.

Was sie beunruhigt: Redler und ihre Truppe personifizieren im Wahlkampf den Konflikt zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Während die anderen sich mühen, mit knappen Kassen kleine halbwegs linke oder soziale Akzente zu setzen, fordert die in der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch beäugten SAV geschulte Spitzenkandidatin einfache Lösungen. Haushaltskonsolidierung? „Es geht um eine Umverteilung von oben nach unten.“ Sie redet viel von „Gegenwehr und Widerstand“, sieht den Staat in der Verantwortung, den Menschen Arbeit zu geben, und macht keinen Hehl daraus, dass alle anderen Parteien im Abgeordnetenhaus nur „Neoliberale“ sind. Gefragt, wer ihre Wunschkoalitionspartner seien, antwortet sie mit außerparlamentarischer Selbstverständlichkeit: Arbeitslose, Migranten, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Arbeiter.

Marion Seelig, Vizefraktionschefin der PDS und Gegenkandidatin von Lucy Redler in Pankow, schüttelt bei solchen Äußerungen still den Kopf. Als Konkurrenz mag Seelig die WASG-Frau trotzdem nicht sehen, so wie kaum ein PDS-Politiker die WASG durch öffentliches Ernstnehmen aufwerten will. Redlers Vorteil ist ein prinzipieller: Konkrete Politik ist mühsam. Große Utopien hingegen verkaufen sich gut, vor allem in Zeiten von Hartz IV und Haushaltskonsolidierung. Der parlamentarischen Linken jedoch haben die Verhältnisse das Träumen ausgetrieben. Auch das zeigte sich bei jener Diskussion über linke Politik. Gefragt nach ihren Utopien gaben sich die Vertreter von SPD, PDS und Grünen staatstragend und sprachen ohne Esprit von Sachvorhaben wie Gemeinschaftsschule, Hochschulinvestitionen oder mehr Lehrern. Lucy Redler hingegen schwärmte vom Kampf gegen den Kapitalismus und von einer Welt, in der „Profitmaximierung nicht mehr im Mittelpunkt steht“. Für Realpolitik dürfte das kaum taugen. Für einen Einzug ins Parlament vielleicht schon.

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