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Berlin: Die ganze Nacht gespielt

Der kleine Norbert und sein 17-jähriger Freund aus der WG

Von Annekatrin Looss

Und Björn Seeling

Ein hellblauer Altbau inmitten des Szeneviertels nahe der Zionskirche. Ein Kiez, in dem die Nacht zum Tage gemacht wird. Die hipppen Leute von Berlin wohnen hier, wo es nur ein Katzensprung von Mitte nach Prenzlauer Berg ist. Hier betreibt das Pfefferwerk aber auch sein Projekt für betreutes Wohnen. Im Hinterhaus des sanierten Gebäudes in der Zionskirchstraße befindet sich eine Krisenunterkunft, im Vorderhaus liegen einzelne Wohnungen. Aus einer von ihnen holte die Polizei am Mittwoch den siebenjährigen Norbert ab. Zwei Nächte hat er dort mit Sven (17) verbracht. „Die beiden haben unseres Wissens mit dem Computer gespielt“, sagt Peter Neumann vom Pfefferwerk. Das ist ein gemeinnütziges Unternehmen, das sich auf den so genannten sozio-kulturellen Bereich spezialisiert hat, Ausbildungs- und Kitaplätze ebenso anbietet wie Biergartenplätze im Sommergarten an der Schönhauser Allee. Und eben Wohnplätze, wie der 17-Jährige vom Jugendamt einen zugewiesen bekam. Sven wohnt seit drei Monaten beim Pfefferwerk. Vorher hat er schon in anderen Wohnprojekten gelebt. Der 17-Jährige geht nicht zur Schule, hat keinen Ausbildungsplatz. Von seinen Betreuern wird er als „nicht altersgemäß entwickelt“ beschrieben. War die Eskapade mit dem Norbert also eine Dumme-Jungen-Geschichte? Für Peter Neumann sieht es so aus. „Das Kind konnte sich frei bewegen.“

Seit Norberts Auftauchen in dem Wohnprojekt sehen sich die Pfefferwerkmitarbeiter Vorwürfen ausgesetzt. Wie kann es kommen, dass der Siebenjährige erst so spät entdeckt wurde? „Eigentlich hätte jeden Tag ein Betreuer vorbeischauen sollen“, gibt Neumann zu. Aber der Turnus konnte nicht eingehalten werden. „Ursache sind die Sparpläne“, sagt der Mann vom Pfeifenwerk, das vor kurzem eine Kinder- und Jugendfreizeitstätte schließen musste. Dass der kleine Junge erst so spät aufgegriffen wurde, führt Neumann auch darauf zurück, dass sich die Spielkameraden eine Ausrede ausgedacht hatten. Beide taten zunächst so, als ob der Kleine nur „mal so“ zu Besuch war.

Das Wohnprojekt des Pfefferwerks gehört zu den 1100 Plätzen im betreuten Einzelknochen in der ganzen Stadt. 800 kommen noch ein mal in Wohngemeinschaften hinzu. „Es ist ein Angebot für junge Menschen, die Schwierigkeiten haben“, sagt Ulrike Herpich-Behrens, Leiterin des Landesjugendamtes. Ihre Behörde hat die Oberaufsicht und wird auch die aktuellen Vorgänge prüfen. Über die Vergabe der Plätze entscheiden die Jugendämter der Bezirke. Anlässe für die Unterbringung gibt es viele: etwa Gewalt zu Hause, Selbstmordgefahr, Obdachlosigkeit. Das Angebot ist „differenziert nach Zielgruppen“, sagt Ulrike Herpich-Behrens. Sven hatte offenbar Ärger mit seinen Eltern. Je nach Schwere des Falls legt das Jugendamt die Art der Betreuung fest: Reicht die lange Leine oder muss der Jugendliche? Pro Tag und Platz zahlt die öffentliche Hand zwischen 52 und 60 Euro, damit die Jugendlichen auf ein selbstständiges Leben nach der Volljährigkeit vorbereitet werden. Wenig Zeit für den 17-Jährigen Sven.

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