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Berlin: Die Gnade der frühen Geburt

Nicht alle profitieren vom neuen Elterngeld – sie möchten noch 2006 entbinden. Die Kliniken lehnen das ab

Von Sandra Dassler

Die Wahrheit werden wir – wenn überhaupt – erst später erfahren. Momentan halten sich alle Beteiligten offiziell bedeckt: Keine, aber auch wirklich keine einzige Schwangere habe bei ihr nachgefragt, ob sie ihr Kind wegen des Elterngelds früher oder später zur Welt bringen könne, sagt die Leitende Hebamme der Geburtsklinik im DRK-Krankenhauses Westend. Das Ganze sei eine Erfindung der Medien.

Auch für die Ärzte und Hebammen im St. Joseph-Krankenhaus ist der bevorstehende Jahreswechsel einer wie jeder andere – im Kreißsaal wird es weder mehr Personal noch besondere Dienstpläne geben. Den meisten Eltern sei doch in erster Linie die Gesundheit ihrer Babys wichtig und nicht die Frage, ob sie noch das alte Erziehungsgeld oder bereits das neue Elterngeld erhalten, heißt es.

Hinter vorgehaltener Hand berichten Hebammen allerdings, dass sie in den vergangenen Wochen vor allem von Frauen angesprochen wurden, die von der neuen Regelung benachteiligt werden – Hausfrauen, Studentinnen und Arbeitslose zum Beispiel. Die bekommen statt wie bisher 300 Euro Erziehungsgeld im Monat zwar die gleiche Summe als Elterngeld – aber eben nur ein Jahr lang und nicht – wie bisher– für zwei Jahre. 3600 Euro sind für einkommensschwache Familien viel Geld. „Manche Frauen wollen, dass wir noch vor dem 31. Dezember die Geburt einleiten, manche verlangen sogar einen Kaiserschnitt“, sagt eine Hebamme, die anonym bleiben möchte.

Auch der Leiter der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité, Joachim Dudenhausen, berichtet von zahlreichen Gesprächen, bei denen sich werdende Eltern nach Möglichkeiten erkundigten, den Zeitpunkt der Geburt zu bestimmen. „Etwa ein Drittel von ihnen wollte die Geburt beschleunigen. Zwei Drittel wollten sie hinauszögern. Das sind Menschen, die sich darüber freuen, für zwölf oder vierzehn Monate 67 Prozent des bisherigen Nettoverdienstes zu erhalten.“ Das können bis zu 1800 Euro im Monat sein sein. Proportional entspricht Dudenhausens Beobachtung den Zahlen, die das Bundesfamilienministerium veröffentlicht hat: Danach profitieren bundesweit etwa 365 000 Familien von der Neuregelung, etwa 155 000 sind dadurch benachteiligt.

Dudenhausen hat bislang alle Mütter und Väter davon überzeugt, dass sowohl geburtseinleitende als auch geburtsverzögernde Maßnahmen gesundheitliche Risiken mit sich bringen. Argumente, wonach in früheren Zeiten, etwa in den 70er Jahren, viele Geburten „geplant“ und eingeleitet wurden, lässt er nicht gelten: „Inzwischen weiß man, dass die natürliche Geburt das Beste für Mutter und Kind ist.“ Er hofft, dass auch seine Kollegen so denken.

Offiziell lehnen alle Berliner Krankenhäuser, Ärzte und Hebammen Manipulationen der Geburten oder der Geburtsurkunden ab. Einen Hinweis darauf, ob sie sich daran gehalten haben, wird vielleicht später die Statistik liefern: Sie hält fest, wenn in den letzten Tagen des alten oder in den ersten Tagen des neuen Jahres unverhältnismäßig viele Kinder geboren werden. Oder wenn die Zahl der Kaiserschnitte und der leichter manipulierbaren Hausgeburten enorm ansteigt.

In Internetforen gibt es dieser Tage jede Menge fragwürdige Tipps, wie man eine Geburt hinauszögern kann: kein Sex, keine Aufregung, keine Bewegung. Für eine Beschleunigung der Geburt finden sich ebenfalls Hinweise. Ärzte warnen allerdings vor den meisten „Hausmitteln“ – besonders vor dem Genuss von Alkohol.

Bis gestern gab es in den Berliner Kreißsälen keinen verstärkten Andrang: „Alles wie immer“, sagt Oberarzt Fakher Ismaeel in der Frauenklinik des DRK–Krankenhauses Köpenick: „Wir stellen uns auf einen normalen Jahreswechsel ein.“

Die Pressestelle der Charité hat vorsorglich darauf hingewiesen, dass ihre Mitarbeiter den Journalisten wie jedes Jahr gern Kontakte zu den Eltern der Neujahrsbabys ermöglichen. Mit Anfragen wegen des Elterngeldes möge man sie aber bitte verschonen.

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