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Berlin: Die Heimkehr des Terroristenjägers

Er hat für die UN Attentäter in Beirut gesucht – jetzt zieht es Staatsanwalt Detlev Mehlis zurück in sein altes Büro am Kammergericht

Was das für ein Gefühl ist, als Berliner Staatsanwalt plötzlich die Weltpolitik aufzumischen? Stille. Detlev Mehlis sitzt in seinem Beiruter Büro und sagt nichts. Ein unscheinbares Hotelzimmer, darin steht ein Schreibtisch, eine helle Sitzgarnitur, in der Ecke eine Flagge der Vereinten Nationen, keine Bilder. Man kann mit Mehlis über alles reden, nur wenn es um Mehlis selbst geht, macht der Mann mit den kurzgeschorenen Haaren dicht – und jede neue Frage scheint es nur noch schlimmer zu machen: Wie ist es, eine Schlüsselrolle für den Frieden im Nahen Osten zu spielen? Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über den Mordfall Hariri zu sprechen? Jetzt klingt sein Schweigen fast ärgerlich. Aber weil Mehlis ein höflicher Mensch ist und so ein Telefonat ja auch irgendwie weitergehen muss, sagt er schließlich: „Derzeit bin ich besorgt, dass der richtige Nachfolger gefunden wird.“ Punkt. Nächstes Thema, bitte.

Detlev from Germany – so hatte Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, seinen Commissioner der Öffentlichkeit im Mai vorgestellt. Bis dahin war Mehlis Oberstaatsanwalt am Berliner Kammergericht und nur Insidern ein Begriff. Inzwischen dürfte der 56-Jährige in vielen Ländern der arabischen Welt Beckenbauer den Rang des bekanntesten Deutschen abgelaufen haben. In Beirut sind T-Shirts mit dem Aufdruck „I love Mehlis“ auf dem Markt, und die ersten Babys wurden schon auf den Vornamen „Mehlis“ getauft. Doch auch, wenn man ihn für die UN-Mission nicht lange bitten musste, scheint jetzt, sieben Monate später, alles Bitten nichts mehr zu fruchten. Detlev Mehlis, der dem Rang nach dritthöchste Mann der UN, legt sein Amt am 15. Dezember nieder. Daran vermochten die Appelle der Libanesen nichts zu ändern, die Aufforderungen der UN nicht und selbst der Anruf von Kofi Annan blieb vergeblich. „Meine ganze Lebensplanung war beruflich und privat auf höchstens sieben Monate ausgelegt.“ Eine Verlängerung um weitere sechs Monate komme für ihn nicht in Betracht.

Mehlis zieht es zurück in sein Berliner Büro, das es in Sachen Kargheit locker mit seinem Dienstsitz in Beirut aufnehmen kann, immerhin: An der Wand hängen Fotos aus Beirut, Venedig und Amerika. Am Montag in einer Woche will Mehlis im Kammergericht wieder zum Dienst antreten, pünktlich um acht. Sein Chef, Generalstaatsanwalt Dieter Neumann, hat sich in letzter Zeit öfter mit den Sicherheitsleuten vom Bundeskriminalamt beraten. „Jetzt ist alles vorbereitet“, sagt Neumann. Zaungäste werden den UN-Commissioner a. D. nicht zu Gesicht bekommen: Mehlis wird in einem Wagen direkt in den Innenhof des Hauses chauffiert, auch im Inneren gelten strengste Sicherheitsbestimmungen. Mehrere Bodyguards werden Mehlis und seine Frau noch lange auf Schritt und Tritt begleiten, zur Arbeit, zum Einkauf, zum Ausflug.

Derweil wird auf den Gerichtsfluren heftig spekuliert: Steigt Mehlis jetzt zum Chef der Moabiter Ankläger auf? Wechselt er zum BKA? Wird er Nachfolger von Generalbundesanwalt Nehm? Geht er ins Terrorismus-Lagezentrum des Innenministeriums? Mehlis winkt ab. Er habe das UN-Mandat „aus Pflichtgefühl“ übernommen, nicht um Karriere zu machen. Jetzt freue er sich aufs Kammergericht. „Ich verstehe gar nicht, warum die Leute das nicht verstehen.“ Die meisten glauben es einfach nicht.

Detlev Mehlis hat in Beirut seine zwei Koffer bereits gepackt, mit ihnen fliegt er nach New York. Heute wird sich sein Sicherheitstross noch einmal in Bewegung setzen, Richtung Flughafen. Im Aktenkoffer trägt der Chef-Ermittler, worauf die Welt bereits mit Spannung wartet: die Ergebnisse zum Mordfall Rafik Hariri. Der frühere Ministerpräsident Libanons war im Februar einem Attentat zum Opfer gefallen. Mehlis’ Zwischenbericht, den er im Oktober in New York vorgestellt hatte, galt bereits als Sensation. Über den frisch gedruckten Papierstoß sagt Mehlis nur, dass auch er wieder Neuigkeiten enthalte: „Die Ermittlungen sind vorangekommen.“ Die Details will Mehlis Dienstag dem UN-Sicherheitsrat vorstellen.

Bei der UN macht sich vermutlich niemand mehr die Mühe, die Morddrohungen gegen ihren „Under Secretary General“ zu zählen. „Zu mir kommt das alles gar nicht durch“, sagt Mehlis. Dass er als „Handlanger einer israelisch-amerikanischen Verschwörung“ diffamiert wird, gilt als Standard. Deutlicher wurde da schon eine islamistische Gruppe namens „Jund El Sham“, die ihn als Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad bezeichnet und ihre Anhänger aufgefordert hat, Mehlis den Kopf abzuschlagen. Er selbst sagt, dass er sich um Leib und Leben „nie große Sorgen“ gemacht habe.

Vielleicht auch, weil Mehlis in Beirut beschützt wird wie sonst nur Präsidenten und Monarchen. Die UN hat das Monteverde, ein Hotel auf einem Hügel im christlichen Teil Beiruts, zu einer Festung umgebaut. Panzerwagen schützen das Anwesen, Besucher müssen drei Checkpoints passieren, wo Spiegel unter die Autos geschoben, Papiere geprüft und Sperren von der Straße gezogen werden. Wenn Mehlis das Hotel verlässt, setzt er eine kleine Armee in Bewegung, also bleibt er, wenn es geht, drinnen, Tag für Tag. Das alles hat Mehlis satt, auch, wenn er es niemals so formulieren würde, sondern sagt: „Unter diesen Bedingungen sollte man nicht länger als sieben Monate leben.“

Seine Ernennung hat damals selbst Mehlis überrascht, aber für die UN war er der perfekte Kandidat. In den vergangenen 20 Jahren hat er sich darauf konzentriert, politische Morde aufzuklären: nach dem Anschlag auf die Deutsch-Arabische Gesellschaft 1986, dem Anschlag auf das Maison de France 1983, nach der Explosion in der Diskothek La Belle, ebenfalls 1986. Es war Mehlis, der bewiesen hat, dass hinter dem La-Belle-Anschlag der libysche Geheimdienst steckte. Seitdem weiß Mehlis sich im undurchsichtigen Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Geheimdiensten, Sicherheitsapparaten und Terrorgruppen zu bewegen. Ein Berater des US-Außenministeriums hat einmal gesagt, Mehlis „mag nicht wie ein Löwe brüllen, aber im Vergleich zu den Lämmern in der Bundesregierung hat er einen Biss, mit dem man rechnen muss“.

Mehlis ist es gewöhnt, unterschätzt zu werden. Ein Mann, der mit seiner runden Brille auf den ersten Blick eher bieder wirkt. Ein freundlicher, bescheidener, zurückhaltender Typ. Doch Mehlis ermittelt hartnäckig, und auch in Beirut setzte er mit seinem internationalen Team einen Mosaikstein an den anderen: Wrackteile und DNA-Proben, Bankauszüge, Telefonprotokolle und rund 500 Zeugenaussagen. Dann schlug Mehlis zu: Die vier einst ranghöchsten Sicherheitschefs im Libanon ließ er festnehmen. Und auch in Syrien, das verdächtigt wird, in den Mord verwickelt zu sein, löste er ein politisches Erdbeben aus. Vergangene Woche hat Mehlis’ Team fünf syrische Zeugen in Wien vernommen. Weil man den Österreichern die Sicherheitsvorkehrungen ersparen wollte, blieb Mehlis in Beirut. Gelohnt habe sich der Ausflug allemal, sagt er. „Die Vernehmungen waren sehr aufschlussreich und nützlich.“

Dass Mehlis jetzt aussteigt, halten nicht alle seiner Kollegen für glücklich, manche fürchten, dass der Rückzieher ein schlechtes Licht auf ihn werfen könnte. Ein Großteil seines 110-köpfigen Teams bleibt, doch der Chef geht. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem gerade Kritik aufkommt und Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Mehlis Zeugen laut werden. Erst kürzlich hatten die Syrer in Damaskus einen Mann namens Hussam Taher Hussam präsentiert, der sich als Kronzeuge der UN-Untersuchung bekannte und seine Aussage als reine Lüge widerrief. Er will durch Folter zu den Aussagen gegen Syrien gezwungen worden sein, später habe man ihm dann 1,3 Millionen Dollar versprochen. Unsinn, sagt Mehlis. Ihn ärgert, dass solche Inszenierungen „so ernst genommen“ werden, und er bleibt dabei: Den Ermittlungen habe das Dementi nicht geschadet, für ihn habe die ursprüngliche Aussage Gültigkeit. Ohnehin müsse über die Glaubwürdigkeit einzelner Zeugen später ein Gericht entscheiden.

Aber jetzt erst einmal New York. Detlev Mehlis ist darauf vorbereitet, dass in den kommenden Tagen noch viele versuchen werden, ihn zu überreden, weiterzumachen. Aber er hat sich vorgenommen, standhaft zu bleiben. Ist die Sehnsucht nach Normalität und Alltag so groß? „Jaaa“, entfährt es da dem Staatsanwalt. Und so hat Mehlis dann doch noch etwas über sich selbst verraten.

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