zum Hauptinhalt

Berlin: Die Heiratsstürmerin

Vergesslichkeit plagt sie wahrlich nicht: Noch ein halbes Jahrzehnt nach ihrer ersten Begegnung wissen Annika Langner und Marek Rusyniak, dass sie verabredet hatten, sich um 20 Uhr am Schaukasten der Gedächtniskirche zu treffen. Und auch ein Faible für Palindrome, jene Buchstaben- und Zahlenreihen, die vorwärts wie rückwärts gelesen auf ein identisches Ergebnis kommen, ist beiden fremd.

Vergesslichkeit plagt sie wahrlich nicht: Noch ein halbes Jahrzehnt nach ihrer ersten Begegnung wissen Annika Langner und Marek Rusyniak, dass sie verabredet hatten, sich um 20 Uhr am Schaukasten der Gedächtniskirche zu treffen. Und auch ein Faible für Palindrome, jene Buchstaben- und Zahlenreihen, die vorwärts wie rückwärts gelesen auf ein identisches Ergebnis kommen, ist beiden fremd. Dennoch stand ein anderer Hochzeitstermin als der 20.02.2002 nie zur Debatte. "Zumindest für Marek nicht", gibt Annika Langner zu, die anfangs den Februar zum Heiraten wegen des Wetters "eher blöd" fand. Letztendlich habe sie das Datum aber doch überzeugt, weil "wir uns genau an dem Tag vor fünf Jahren kennen gelernt haben".

Ausgerechnet über den "Tip", der für beide absolut nicht zur Standard-Lektüre gehöre, und ausgerechnet durch eine Rubrik, die bis dato stets desinteressiert überblättert wurde. "An diesem Mittwoch aber", erinnert sich die heute 26-Jährige, "blieb ich bei den Kontaktanzeigen hängen, und seine fiel mir gleich auf, wegen des Textes und der persönlichen Daten." Drei Jahre älter als sie, einige Zentimeter größer und "sportlich, schlank", das verhieß Gutes. Also schrieb sie ihm - "einfach nur so just for fun", ohne überbordende Erwartungen. Einen ähnlichen Eindruck machte der Brief auf den Anzeigentexter. Der Brief von ihr sei wohltuend anders gewesen, individuell und humorvoll: "Annika hat mir wirklich nur kurz einige Sachen von sich verraten und am Ende gefragt, ob das nicht zehn gute Gründe sind, sie kennen lernen zu wollen."

Der Meinung war der damalige BWL- und Publizistik-Student durchaus, allerdings nicht uneingeschränkt, da ihr Hinweis, dass sie bei den Spandauer Kickers Fußball spiele, mitten ins Epizentrum seiner Vorurteile traf. "Bei Fußballspielerinnen dachte Marek automatisch an stämmige Emanzen mit kurzen Haaren." Folglich habe er sich gleich beim ersten Telefonat erkundigt, ob sie denn "feminin" sei.

"Feminin - allein das Wort hat mich völlig verwirrt,", gesteht sie, "aber dann setzte er mit der Frage, ob meine Stimme so dunkel ist, weil ich heiser bin, noch einen drauf." Nach der Information, dass sie lange Haare habe, schien er beruhigt. Und nach ihrer Gegenfrage, welche Unterhosen er trage, wuchs Marek Rusyniaks Vorfreude auf das erste Treffen. Denn mit der hatte Annika Langner zwei für ihn wichtige Kriterien unter Beweis gestellt: Witz und die Fähigkeit, Kontra geben zu können.

"Wahrscheinlich", sagt er heute, "sind wirklich aller guten Dinge drei. Annika war jedenfalls die Dritte, die ich damals getroffen habe." Dass er sie spontan toller fand als sie ihn, dementiert der inzwischen als Assistent der Geschäftsführung in einer Media-Agentur Tätige nicht. "Er war total geschniegelt", so ihr erster Eindruck, "und ich dachte nur: Krass, sieht der schick aus!" Aus rein praktischen Erwägungen ("wenn der Typ blöd ist, kann ich wenigstens lecker Käsetaschen essen") lotste sie ihn vom Breitscheidplatz in die Krumme Straße, ins lateinamerikanische Restaurant "La Batea". Stunden und eine rote Rose später beruhte zumindest der Wunsch nach einem weiteren Treffen auf Gegenseitigkeit.

"Ich glaubte, er wäre so ein Abschlepper", resümiert die beamtete Verwalterin landeseigener Grundstücke, "fand ihn aber ganz nett und wollte ihn deshalb erst ein bisschen besser kennen lernen". Bereits am nächsten Tag habe sie Marek zum "Härtetest" eingeladen: ihr beim Kicken zuzusehen. Er bestand ihn und musste sie nicht lange bitten, das folgende Wochenende bei ihm zu verbringen. "Danach war Annika mir total verfallen und mochte mich gar nicht mehr hergeben." Zustimmendes Nicken statt eines empörten Kontras - Annika sagt, dass damals plötzlich alles ganz klar gewesen sei.

Bis beide die erste gemeinsame Wohnung bezogen, vergingen dennoch zwei Jahre. Und wiederum knapp zwei Jahre brauchten sie, um ihre Aversionen gegen das Heiraten abzulegen. "Im Endeffekt hat sich ja durch die Hochzeit nichts geändert", meint Marek Rusyniak, "nicht mal unsere Namen und Steuerklassen." Gefühlsmäßig sei es nun aber doch "irgendwie anders", ergänzt seine Frau - immer noch verwundert darüber, dass sie, die sonst bei allem möglichen Kram immer gleich losheule, bei der Trauung gleichermaßen unaufgeregt wie ungerührt gewesen sei. Weder ob der sehr persönlichen Worte der Standesbeamtin, die zugleich ihre Nachbarin ist. Noch ob der Musikauswahl, die mit Klassischem begann und mit dem Abba-Hit "Dancing Queen" endete, wie im Film "Muriels Hochzeit". "Total angespannt war auch ich erst wegen des Fests am Samstag danach", stimmt er zu, "weil uns das fast wichtiger war als die Trauungszeremonie an sich."

"Da wir beide so stur sind", bekennt Marek Rusyniak, "kommt es auch vor, dass wir tagelang nicht richtig miteinander reden." Das weiche zwar erheblich von den Idealvorstellungen des partnerschaftlichen Miteinanders ab, sei aber andererseits auch sehr produktiv. Denn nach ihrem Abschied vom aktiven Fußball hat sich Annika Langner einem neuen Hobby verschrieben: "Ich sammle Kotztüten und komme eigentlich nur in diesen Phasen der Funkstille dazu, die zu sortieren."

Maren Sauer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false