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Berlin: Die Könige des Karnevals

Hunderttausende ziehen jedes Jahr beim Festival der Kulturen durch die Stadt. Doch wer kennt schon die Macher? Dabei wird die Werkstatt der Kulturen zehn Jahre alt

Manchmal werden Träume wahr. „Werden demnächst Indianer zu Calypso-Musik durch die Karl-Marx-Straße tanzen? Was so phantastisch anmutet, könnte demnächst Realität werden“, schrieb der Tagesspiegel in den frühen 90er Jahren über die Vision eines Karnevals der Kulturen. Inzwischen sind Karneval und Straßenfest mit ihren über 4000 Protagonisten und rund 1,5 Millionen Besuchern nicht mehr wegzudenken. Die Idee zu diesem internationalen Open-Air-Festival auf Berlins Straßen stammt von Andreas Freudenberg, dem Geschäftsführer der Werkstatt der Kulturen in der Neuköllner Wissmannstraße 32. Der multikulturelle Treffpunkt mit internationalem Veranstaltungszentrum, Sprungbrett für viele ausländische Künstler aus Berlin, feiert jetzt sein zehnjähriges Bestehen. Am Donnerstag lud man prominente Gäste zum Festakt. Am Sonnabend steigt die Party für jedermann.

Wenn sich die Macher der Werkstatt der Kulturen etwas zum Geburtstag wünschen könnten, so wäre das sicherlich, dass zwei Missverständnisse aus der Welt geräumt werden. Nummer eins: Ja, die Werkstatt der Kulturen hat den Karneval der Kulturen ins Leben gerufen und organisiert ihn auch heute noch – aber die aus dem Etat des Integrationsbeauftragten mit rund 630000 Euro geförderte Institution macht weit mehr als nur das Straßenfest. Die einst vom Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker und der Ausländerbeauftragten Barbara John initiierte Werkstatt mit 19 Mitarbeitern organisiert insgesamt jedes Jahr über 500 Veranstaltungen mit bis zu 35 000 Besuchern im Haus. Mehr als 80 Gruppierungen aus bis zu 150 Nationen nutzen das zweistöckige Fabrikgebäude pro Jahr. 3000 Aktive organisieren jährlich Konzerte, Shows, Lesungen, Seminare, Theater- und Tanzveranstaltungen.

Und dann wäre da noch Missverständnis Nummer zwei: Ja, die Werkstatt der Kulturen wird oft mit dem Haus der Kulturen der Welt verwechselt – macht doch aber etwas ganz anderes. Die Neuköllner verstehen sich als experimentelle Bühne für ausländische Künstler mit Wahlheimat Berlin. Da wäre zum Beispiel die mongolische Sängerin Urna – auch sie startete ihre Karriere in der Kulturwerkstatt. Oder der Chinese Wu Wei, der die Mundorgel als Instrument in den Weltmusikjazz integrierte. Wu Wei ist jetzt gefragter Musiker in aller Welt.

Weitere Glanzlichter aus der Geschichte? Auch das Bürgerfest des Senats zu zehn Jahre Wiedervereinigung wurde von der Werkstatt der Kulturen mitorganisiert – wie das Millenniums-Kunstfest am Kulturforum, zu dem Geschäftsführer Andreas Freudenberg und sein Team von den Berliner Festspielen geladen wurde. Dieses Jahr erhielt die Werkstatt den Kulturpreis der „Kulturpolitischen Gesellschaft“ – unter anderem für das Tanzfestival „Bewegte Welten“ und den Wettbewerb „Musica Vitale“. Jetzt wird die Werkstatt also zehn – und macht ihrem Namen noch immer alle Ehre. Überall wird gebaut: die Kleinkünstler basteln im Club an neuen Nummern, die Trommler an ihrer Performance, Roma-Musiker und indische Tänzer feilen im Probenkeller am Auftritt.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Senats-, Fraktions-, Abgeordnetenhaus- und Bezirksvertreter hatten während des Festaktes allerlei politische Liebesbekundungen als Geburtstagsgabe parat. Die Werkstatt der Kulturen (Telefon 609770-0) schenkt den Berliner ihrerseits am Sonnabend eine große Fete ab 19 Uhr: mit der multimedialen Performance „Sur-Face-Berlin“, Livemusik mit „Latin Spektrum“ – und einem verträglichen Eintritt von fünf Euro. Einem Gast gefällt es schon so gut, dass er sich auf Dauer in der Werkstatt einquartiert hat: Das türkische Restaurant „Merhaba“ ist von der Hasenheide in die Wissmannstraße gezogen.

Annette Kögel

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