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Berlin: Die kritischste Zeit des Jahres

Oliver D., Justizvollzugsbeamter, Gefängnis Tegel.

Oliver D. verbringt mehr Zeit im Gefängnis als zu Hause. „Wir sind hier auch eingesperrt“, sagt er. Sein Dienstraum ist so klein wie eine gewöhnliche Zelle. Er arbeitet in Haus II, in der Mitte der Zellentrakte hängt dieser Tage ein Adventskranz.

Vor Weihnachten ist die kritische Zeit des Jahres. Dann denken die Gefangenen an ihre Familien draußen, an ihre Frauen, ihre Kinder. Heiligabend gehen sie zum Gottesdienst in die Gefängniskapelle, gerade die polnischen und russischen Insassen sind oft sehr gläubig; und die anderen freuen sich über die Geschenke vom Pfarrer.

Auch zu den Feiertagen müssen alle Schichten besetzt sein, da kann sich niemand freinehmen. Dank für seine Arbeit gibt es von den Häftlingen nicht, den erwartet D. auch nicht. Geschenke nimmt er niemals an. „Damit macht man sich erpressbar, und das wird gnadenlos ausgenutzt.“ Ebenfalls aus Sicherheitsgründen will er sich auch nicht für die Zeitung fotografieren und seinen Nachnamen nicht veröffentlichen. Für D. ist es ein gutes Jahr, wenn er keine Körperverletzung hatte. Vor Jahren hat ein Häftling ihn gebissen, ein halbes Jahr lang musste er bangen, ob er sich mit HIV infiziert hatte. Innerlich ist er stets in unterschwelliger Alarmbereitschaft: „Es kann immer was passieren.“ An Feiern mit den Kollegen ist da nicht zu denken, allenfalls finden sie Zeit für ein gemeinsames Pausenbrot.

Zu Silvester gibt es keine Böller und Raketen. Doch Punkt null Uhr beginnt einer der Häftlinge von innen gegen seine Tür zu treten, dann fallen die anderen ein, alle treten, hämmern, donnern gegen die Türen, das geht wie ein Lauffeuer in allen Häusern herum. „Das ist ein Lärm, als ob das Haus gleich wegfliegt“, sagt D. Die Beamten tolerieren diese Tradition, nach zwanzig Minuten ist das Ersatz-Feuerwerk vorbei.

„Ich gehe dann mal wieder rein“, sagt D. zum Abschied, „21 Jahre habe ich noch.“

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