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Berlin: Die Kurpfalz-Weinstuben: Nur keinen Nagel herausziehen!

Ein Zeitsprung. So haben Weinstuben einmal ausgesehen, als sie noch nicht "Enoteca" hießen.

Ein Zeitsprung. So haben Weinstuben einmal ausgesehen, als sie noch nicht "Enoteca" hießen. Knorrige Stühlchen, Holztäfelung kinnhoch an allen Wänden, Weinfässer obendrauf, seltsame Beleuchtungskörper mit Gnomen und Hexen, geschnitzt aus Rebwurzelholz. "Das bleibt auch so", sagt Rainer Schulz, der Wirt und Küchenchef dieser Zeitmaschine, "wenn ich hier nur einen Nagel von der Wand nehme, fällt das alles zusammen". 65 Jahre gibt es die "Kurpfalz-Weinstuben" am Adenauerplatz, 25 Jahre stehen sie unter der Regie von Schulz, und er weist Veränderungspläne längst klug von sich. "Fangen wir mit den Stühlen an, kommt alles andere nach. Dann brauchen die Kellnerinnen lange Schürzen, die Tische müssen raus, die Preise steigen ..."

Nein, das wird Schulz, inzwischen 61, nicht mehr riskieren. Da konzentriert er sich lieber auf den Wein, der zum Thema seines Lebens geworden ist, seit er 1975 mehr aus Zufall den Betrieb übernommen hat. Einen seltsamen Betrieb: Ursprünglich lagen die Gasträume direkt vorn an der Wilmersdorfer Straße, gegründet von Fleischermeister Müller aus Thüringen, der sich von seiner Pfälzer Frau inspirieren ließ und gegen die Übermacht der damals existierenden Pfälzer Weinstuben die "Kurpfälzer" gründete. Offenbar hatte er einen guten Draht zu den Machthabern, die bei ihm ein- und ausgingen und dafür sorgten, dass der Betrieb auch nach einem verheerenden Bombenangriff im ursprünglichen Hinterhaus weitergehen konnte. 1949 durfte Müller die Weinstube wieder aufmachen; er starb 1958, und seine Frau setzte die Tradition fort. Schulz, ein gelernter Hotelkaufmann, der Ende der 60er aus Hamburg gekommen war, um die Gastronomie im "Bellevue-Tower" zu übernehmen und dann eine eigene Kneipe führte, wagte den Sprung nach einem Jahr zäher Verhandlungen mit der betagten Witwe.

Die 70er waren harte Zeiten für den deutschen Wein. Klebrige Süßgetränke quollen aus den Kellereien, und die deutschen Fans flüchteten zu Edelzwicker, Blanc de Blancs und ähnlich säuerlichen Getränken, Hauptsache trocken. Doch schon die Witwe Müller hatte Kontakt zum berühmten Pfälzer Gut Koehler-Ruprecht, und Schulz knüpfte dort an. Bernd Philippi, der Chef des Gutes, zeigte ihm, welche Nachbarn ebenso wie er an Qualität festhielten. Fortan hatte er gute Weine, und heute hat er sie erst recht: "Philippi gibt mir Weine, die es sonst nicht gibt. Nirgendwo." Schon sein Angebot von Dutzenden offener Schoppen, überwiegend aus der Pfalz, ist in Berlin ohne Vergleich, und im Keller liegen schätzungsweise 20 000 Flaschen von ungefähr tausend verschiedenen Weinen. Wie alle Kenner liebt er vor allem die gereiften Rieslinge und häuft Hohn und Spott auf die Modebewussten, die am liebsten schon jetzt den 2000er probieren würden - derlei Zeitgeistiges kommt ihm nicht mehr ins Glas. Dem Beaujolais Primeur hat er schon vor Jahren abgeschworen, und seit dem vergangenen Jahr gibt es auch keinen Federweißen mehr: "Überall dieses Geklebe, furchtbar!" Gäste, die sich damit nicht abfinden wollen, bekommen seine charmante, hanseatisch gefärbte Strenge zu spüren. Der Mietvertrag für die Weinstube übrigens läuft bis 2006. Und dann? "Ach, auf zehn Jahre mehr hätte ich schon noch Lust."

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