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Berlin: Die Mauer im Netz

Google startet das „Cultural Institute“ mit sieben Millionen Ausstellungsobjekten online.

Wetter? Passt. Nasskalt und düster wie vor 23 Jahren, an jenem 9. November, von dem heute noch jeder sagen kann, mit wem und wo er ihn verbracht hat. Draußen stapfen Touristen über den früheren Todesstreifen, sie verharren vor Schautafeln oder posieren vor den Mauerfragmenten an der Bernauer Straße. Und drinnen fehlt plötzlich eine Maus.

Das ist ein bisschen peinlich für den Mann von Google, der sich gerade im Besucherzentrum der Stiftung Berliner Mauer abmüht. Ein banales Computerproblem sabotiert ihm die Präsentation des neuesten Projekts des berühmtesten Unternehmens des Computerzeitalters. Der Mann von Google drückt ein paar Sekunden lang auf den Netzschalter, der Mauszeiger kehrt zurück auf die Leinwand, und weiter geht’s. Mit Demonstranten vor dem Palast der Republik, dem stotterndem Schabowski und endlosen Schlangen von Begrüßungsgeldempfängern. Zum krummen Mauerfall-Jubiläum veröffentlicht das „Google Cultural Institute“ eine Sammlung von 13 Onlineausstellungen zu dem, was damals nicht nur Berlin und Deutschland, sondern ganz Osteuropa von Grund auf veränderte und den Rest der Welt dazu.

Google muss ein paradiesischer Arbeitgeber sein, wenn es denn stimmt, was Wieland Holfelder erzählt, der Leiter des konzerneigenen Entwicklungszentrums. „Unsere Ingenieure dürfen 20 Prozent ihrer Arbeitszeit Projekten widmen, die sie für zukunftsweisend halten“, sagt Holfelder. Einer dieser Ingenieure bekam im Sommer den Flitz mit der digitalen Aufbereitung des 89er Herbstes. Deswegen kämpft der Chef jetzt an der Bernauer Straße mit dem Netzschalter.

Das Besucherzentrum der Mauer-Stiftung ist ein rostbrauner Kasten, er steht ungefähr da, wo die Bernauer Straße auf die Gartenstraße stößt. Früher bog hier die Mauer im rechten Winkel nach Norden ab. Links stand einer dieser provisorischen Türme, auf denen Reisegruppen aus Delmenhorst, Baden-Baden oder Aschaffenburg Osten guckten. Der rechte Mauerwinkel unten erlangte beklemmende Berühmtheit, weil lebensmüde West-Berliner hier bevorzugt mit hundert Sachen in ihren Autos gegen den Beton rasten. Geschichte im Alltag.

So ungefähr will auch Robert Rückel erzählen, was sich damals an der Nahtstelle der Systeme abgespielt hat. Robert Rückel ist der Direktor des DDR-Museums, einem der drei deutschen Kooperationspartner. Für seine Onlineausstellung hat er sich einen digitalen Otto Normalverbraucher ausgedacht, er heißt im Falle des DDR-Museums Uwe Neumann – „kein Held, aber auch kein Hundertfünfzigprozentiger. Er findet es mutig, was die Demonstranten im Herbst 89 machen, ist aber selbst nicht so mutig.“ Also erzählt Uwe Neumann seinem Tagebuch, was so alles passiert zwischen den manipulierten Kommunalwahlen im Mai 1989 bis zum ersten Jahrestag der Wiedervereinigung. Illustriert werden die Tagebucheinträge mit Fotos, Video- und Tondokumenten, alles in höchster Auflösung.

So ein Museumsdirektor hat es nicht leicht, das allgemeine Publikum von der Attraktivität seiner Schätze zu überzeugen. „Deswegen waren wir so begeistert von diesem Projekt“, sagt Robert Rückel. „Online erreichen wir Nutzer, die wir sonst nicht erreichen. Weil sie nicht in Berlin wohnen, sich nicht für Museen interessieren oder kein Geld dafür haben.“ Im Netz kann Rückel Ausstellungsstücke präsentieren, die sonst unbeachtet im Magazin an der Karl-Liebknecht-Straße einstauben. 250 000 Objekte hat das DDR-Museum online gestellt, das Archiv des gesamten Projekts kommt auf sieben Millionen. Sven Goldmann

Die 13 Ausstellungen im Netz: www.google.com/culturalinstitute

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