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Berlin: „Die Religion war meine letzte Rettung“

Als Jugendlicher wäre der Muslim Ferid Heider fast in die Kriminalität abgerutscht, im Islam fand er wieder Halt. Mittlerweile ist er Imam in Neukölln und versucht die Jugendlichen vor dem zu bewahren, was auch ihm einst drohte.

Vor zwölf Jahren war er einer von ihnen. Er hing in Neukölln auf der Straße rum, nahm Drogen, schaffte die zehnte Klasse gerade so. „Ich wusste nicht mal, wie unser Prophet heißt“, sagt Ferid Heider. Heute arbeitet er in seinem Auftrag, er ist Imam. 27 Jahre ist er alt, zur Leinenhose trägt er eine Tunika – an warmen Tagen kein ungewöhnlicher Anblick in Neukölln. Auch spricht Heider nicht in Koransuren und für einen muslimischen Geistlichen recht offen über seine Vergangenheit – in perfektem Deutsch. In was sonst, sagt er. Bin doch hier geboren und aufgewachsen. Sein Vater stammt aus dem Irak, die Mutter aus Polen.

Ferid Heider sitzt in einem kleinen Büro im zweiten Stock eines Neuköllner Hinterhofs, im Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum (IKEZ). Neben dem Büro ist der Gebetsraum, in den freitags 800 bis 1000 Gläubige kommen. Heider sitzt ein bisschen wie auf heißen Kohlen, denn als einer der wenigen Imame in der Stadt, die hier aufgewachsen sind und die Probleme der Jugendlichen kennen, hat er gut zu tun. Im IKEZ und in einer Moschee in Wedding baut er Jugendclubs auf, organisiert Gesprächskreise und Ausflüge, er spielt mit den Jungen Fußball und Kicker, während der WM hatte er eine Leinwand im Hof aufgestellt. Nun soll er möglicherweise bald auch noch mit der Polizei zusammenarbeiten und sich um junge muslimische Straftäter kümmern.

Ein leitender Polizist der Direktion 5, die für die Bezirke Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg zuständig ist, hatte vor kurzem vorgeschlagen, bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität stärker mit Moscheevereinen zusammenzuarbeiten. Die neuen Ideen sehen vor, dass muslimische Jugendliche, die als Strafe zu sozialer Arbeit verurteilt wurden, diese nicht mehr wie bisher in karitativen Einrichtungen der Kirchen ableisten, sondern verstärkt in den Moscheen. Die Imame sollen ihnen dabei klar machen, dass das, was sie getan haben, nicht im Sinne Allahs ist. Einer der Moscheevereine, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, ist das IKEZ.

Ferid Heider hält das für eine gute Idee: „Die Religion war meine letzte Rettung“, sagt er. Er ist sozusagen sein eigenes Lehrstück. Nachdem er die Schule nach der 10. Klasse abgebrochen hatte, schickten ihn die Eltern nach Ägypten. Sie waren der Meinung, nur noch ein Ortswechsel könne helfen. In Ägypten holte er das Abitur nach, lernte Arabisch und entdeckte, dass Religion Halt geben kann. Sechs Jahre später kehrte er nach Berlin zurück, holte das deutsche Abitur nach, ließ sich zum Imam ausbilden und studiert an der Freien Universität Arabistik.

„Wenn das bei mir geklappt hat, warum soll es nicht auch bei anderen Jungs funktionieren“, sagt er. Seine Diagnose: Viele Jugendliche seien zwar stolz, Muslime zu sein, wüssten aber gar nicht, was das ist. Überhaupt wüssten sie wenig. Auch nicht, wer sie sind und wohin sie mit sich sollen. Sind sie Palästinenser? Deutsche? Sein Therapievorschlag: Bildung und Glaube. Er kenne Schüler, Muslime, die denken, dass es okay ist, andere Jugendliche „abzuziehen“, vorausgesetzt die anderen sind Deutsche, die in deren Augen minderwertig seien. „So ein Quatsch“, sagt Heider. Sicher, für ihn sei der Islam die einzig wahre Religion. „Aber wenn ich denke, dass die Wahrheit auf meiner Seite ist, heißt das nicht, dass ich andere nicht toleriere und respektiere.“ Die Zehn Gebote, Ehrlichkeit, Toleranz, das gelte doch in allen Weltreligionen.

Und die Widersprüche, mit denen die Kinder leben müssten: Was zu Hause ein Tabu ist, sei draußen normal, Sexualität zum Beispiel. Heider will zeigen, wie man Brücken baut zwischen Welten, die angeblich nicht zu verbinden sind. Dass es sehr wohl gehe, sich hier zu Hause zu fühlen und gläubiger Muslim zu sein. Und dass dazu nicht gehöre, die Ehre der Schwester zu verteidigen. „Viele Macho-Jungs sind verblüfft, wenn ich ihnen sage, dass sie nicht das Recht haben, sich über ihre Schwester zu erheben, egal, was die tut.“

Das alles heißt nicht, dass Heider liberaler Erziehung das Wort predigt. Keuschheit vor der Ehe findet er richtig, auch dass sich Mädchen und Jungs in getrennten Jugendgruppen treffen. Das ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, die gar nicht sonderlich betont werden muss. Heider erwähnt es, aber nebenbei. Denn wenn er als freizügiger Prediger rüberkäme, wäre das seinem Image nicht zuträglich. Das IKEZ ist bekannt für strenge Moral und erzkonservative Auslegung des Islam.

Und für noch mehr, glaubt der Verfassungsschutz. Er geht davon aus, dass sich im IKEZ Anhänger der umstrittenen Muslimbruderschaft treffen. So steht es Jahr für Jahr im Berliner Verfassungsschutzbericht. Die in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft ist eine der ältesten islamistischen Gruppierungen, die die Trennung von Staat und Religion ablehnen. Sie fordert laut Verfassungsschutzbericht die „uneingeschränkte Anwendung der Scharia und die Schaffung eines islamistischen Staatswesens“.

„Immer dieser alte Vorwurf“, sagt Raed Zaloum, Sprecher des Zentrums, und seufzt. „Wir sind kein Treffpunkt der Muslimbrüder.“ Während des Gesprächs mit Ferid Heider hatte Zaloum in einer Ecke des Büros am Computer gearbeitet und seine zwei Kinder beaufsichtigt. Die Vorwürfe stammen aus den 90ern, sagt Zaloum. Seit dem 11. September habe es einen „Wandlungsprozess“ im IKEZ gegeben. Seitdem mische man sich nicht mehr in Politik ein, gehe auch nicht zu Demonstrationen. „Wir sind Berliner Muslime und wollen, dass sich unsere Mitglieder mit der Gesellschaft hier identifzieren“, sagt Zaloum. „Was interessieren uns die ägyptischen Muslimbrüder?“

„Kein vernünftiger Muslim in Europa würde auf die Idee kommen, die Scharia hier anzuwenden“, sagt Ferid Heider. „Wenn du hier lebst, musst du dich an die Gesetze hier halten.“ Die Jugendlichen wüssten gar nicht, was das ist, Scharia. Viele wüssten auch nicht, dass es nicht im Sinne Allahs ist, von Sozialhilfe zu leben. Nicht umsonst stehe im ersten Koranvers die Aufforderung: „Lies“. Ein guter Muslim sein, heiße sich anzustrengen, erfolgreich zu sein, im ganz weltlichen Sinne. Dass die Kinder abdriften, liege aber auch an den Eltern, die sich nicht kümmerten. Die ihre Kinder aufgeben. Wie jener Vater, mit dem er vor ein paar Monaten zu tun hatte. Der Sohn hatte Straftaten begangen, immer wieder, der Vater wusste keinen Rat mehr. Er wollte, dass die Polizei seinen Sohn einsperrt, sagt Heider. Auch die Macht des Imams half nichts.

„Wenn ich hier in Neukölln auf der Hauptschule bin, ist die Chance, nicht in kriminelle Kreise zu geraten, relativ gering“, sagt der Imam und geht. Kaum ist er aus dem Haus, sprechen ihn Jugendliche auf der Straße an. Heider grüßt hierhin und dorthin. Vielleicht ein Anfang.

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