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Berlin: Die seltsame Angst des Senats vor offenen Ladentüren

BERLIN .Im Prinzip ist man sich im Senat seit langem einig, daß das geltende Ladenschlußgesetz radikal liberalisiert werden muß, weil dies Berlin als Touristen- und Einkaufsstadt gut täte; zusätzliche Kaufkraft kann die Stadt brauchen.

BERLIN .Im Prinzip ist man sich im Senat seit langem einig, daß das geltende Ladenschlußgesetz radikal liberalisiert werden muß, weil dies Berlin als Touristen- und Einkaufsstadt gut täte; zusätzliche Kaufkraft kann die Stadt brauchen.Trotzdem ist die bereits mehrfach angekündigte Bundesratsinitiative noch immer nicht beschlossen.Das hat mit den Details zu tun, über die sich erstens CDU und SPD, zweitens die Sozialdemokraten unter sich nicht einig sind.Und niemand will die Gewerkschaften gegen sich aufbringen, die dagegen sind, schon gar nicht im Wahljahr.

Die Vorlage der federführenden Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) ist fertig: Erlaubnis zur Öffnung der Geschäfte von montags bis sonnabends rund um die Uhr, aber sonntags nie, denn der Sonntag ist grundgesetzlich geschützt.Der Arbeitsschutz der Beschäftigten bleibe durch das Arbeitszeitgesetz geschützt, wird in der Vorlage betont.Die Hübner-Vorlage ist ganz im Sinne des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU), aber nicht im Sinne der SPD.Die SPD-Führungsquadriga - Spitzenkandidat Walter Momper, Parteichef Peter Strieder, Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing und Fraktionschef Klaus Böger - plädiert für tägliche Öffnungszeiten bis 22 Uhr; am heiligen Sonntag sollen die Läden geschlossen bleiben.Folglich muß Diepgen ein Chefgespräch mit den zuständigen Senatoren zur Frontbegradigung führen, bevor der Senat entscheidet.Wann das Kompromißgespräch stattfindet, weiß noch keiner.Senatssprecher Michael Andreas Butz verweist nur auf die notwendige Terminabsprache.

Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) verweigert die Mitzeichnung sowieso, aber nicht etwa mit der Begründung, daß der SPD die CDU-Vorstellungen zu weit gehen.Sie ist überhaupt gegen eine Bundesratsinitiative zum jetzigen Zeitpunkt.Man solle sich an den Bundestagsbeschluß aus Anlaß der Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes von 1996 halten, nämlich die damals verabredete Studie der Bundesregierung nach drei Jahren wirtschaftlicher und sozialer Erfahrung mit den Neuregelungen abwarten, und diese Frist ist noch nicht um.Hier dürfe "nicht jeder seins machen" und "nicht einfach seine eigene Sau durchs Dorf treiben", sagt Schöttlers Pressesprecher Klaus-Peter Florian.

Das von Diepgen in Aussicht gestellte Chefgespräch mit den mitzeichnungspflichtigen Senatoren will SPD-Fraktionschef Klaus Böger auch auf andere "wichtige Personen" ausgedehnt wissen, etwa die Fraktionschefs.Es müsse aber nicht gleich ein Koalitionsgespräch sein.Die Sache mit dem Vorbehalt von Frau Schöttler "wird sich regeln", meinte Peter Strieder noch am Dienstag.Er gab sich zuversichtlich, daß die Bundesratsinitiative noch in dieser Wahlperiode gestartet werde.Strieder findet die derzeitigen Ausnahmeregelungen vom Ladenschlußgesetz "aberwitzige Hilfskrücken", kritisiert aber die Hübner-Vorlage mit Öffnungszeiten rund um die Uhr als "undurchdacht", denn "das können sich nur die Großzentren auf der grünen Wiese leisten, es würde den Einzelhandel in der Innenstadt schädigen."

Frau Schöttlers Empfehlung zum Abwarten lassen weder Böger noch Strieder gelten.Man brauche keine Berichte der Bundesregierung, sondern Ladenöffnungszeiten für eine "moderne Dienstleistungsgesellschaft" und die Stärkung der Kaufkraft Berlins - also im Sinne der SPD werktags bis 22 Uhr.Wenn es nach Böger ginge, würde das Ladenschlußgesetz abgeschafft; man könne die Regelungen den Ländern überlassen, "aber damit stehe ich hier allein."

Während Böger auf die Zustimmung seiner Fraktion zum Vorschlag der SPD-Quadriga hofft, will sich sein stellvertretender Partei- und Fraktionschef Hermann Borghorst, auch Vize-Vorsitzender der IG Bergbau, Chemie, Energie, nicht auf die Ausdehnung der Öffnungszeiten bis 22 Uhr festlegen."Wir müssen das diskutieren.Ob wir bei 22 Uhr bleiben, ist eine offene Frage, ich bin gesprächsbereit." Für Borghorst ist das Ladenschlußgesetz ein sozialer Ausgleich zwischen den Interessen des Einzelhandels, der Verbraucher und der Arbeitnehmer."Ach, Borghorst ist als Gewerkschafter in einer schwierigen Rolle", sagt Strieder nur.

Selbst Frau Hübner will nach Darstellung ihres Pressesprechers Christoph Abele "beim Komplex Ladenöffnungszeiten die Gewerkschaften mit im Boot haben".Klar, Ärger will man mit ihnen nicht haben.Und auch viele Abgeordnete sind Gewerkschaftsmitglieder."Nichts gegen die Interessen der Arbeitnehmer", lautete der Schlachtruf von CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky auch bei jeder Privatisierung von Betrieben der öffentlichen Hand.

Beim Thema Ladenschluß ist die Sorge von SPD und CDU um die widerstrebenden Gewerkschaften aber reine Traditionssache.Das räumen Böger und Strieder genauso wie Senatorin Hübner ein.Früher war eben das Ladenschlußgesetz "zum Schutz vor Selbstausbeutung der Tante-Emma-Läden und zum Schutz der Arbeitnehmer da", so Strieder.Fast wortgleich sagt es Frau Hübners Pressereferent Abele und fügt hinzu: "Das Arbeitsschutzgesetz, Tarifverträge und das Arbeitszeitgesetz machen das Ladenschlußgesetz überflüssig."

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