zum Hauptinhalt

Berlin: Die Spur des Nachbarn

Eine Ausstellung schildert Schicksale deportierter Menschen aus Schöneberg

Es riecht nach staubigen Akten und Putzmitteln, Tafeln weisen den Weg zur Passstelle und zum Bürgerbüro. Im Rathaus Schöneberg sieht es aus wie in vielen Behörden. Hat man einige Korridore passiert, öffnet sich mit einem Mal eine andere Welt. In einem lang gezogenen Saal reihen sich graue Lesepulte mit kleinen Lampen aneinander, durch das Oberlicht fällt mattes Winterlicht. Auf jedem Pult liegt ein „biographisches Album“, über hundert sind es. Sie schildern den Alltag jüdischer Familien in Schöneberg und was aus ihnen wurde, nachdem die Nazis begannen, Jagd auf sie zu machen.

Die Familien hießen Cohn und Zeller, einige sind berühmt geworden wie Else Lasker-Schüler oder Walter Benjamin, die meisten sind vergessen, einige waren reich wie jener Anwalt, andere lebten von der Hand in den Mund wie jener Postangestellte. Auf einem Bild läuft die zweijährige Meta Alexander auf den Fotografen zu und zieht eine Holzente hinter sich her. Ihre Mutter war Katholikin, der jüdische Vater zum Katholizismus konvertiert. Dennoch wurde die Familie aus der Wohnung vertrieben, der Vater von der Gestapo abgeholt.

Die Wände der Ausstellungshalle sind gepflastert mit Karteikarten, die nach Straßennamen und Hausnummer sortiert, die 6069 aus Schöneberg deportierte Juden mit Namen nennen. Ein Schöneberger Bezirksverordneter schrieb die Daten 1988 aus Gestapo-Akten ab, die er bei der Oberfinanzdirektion aufgespürt hatte. Jeder kann sehen, wer früher nebenan wohnte oder in der eigenen Wohnung. Und wer von den Deportationen profitierte. „Unsere Nachbarn, die ,großes Mitleid’ mit uns hatten, haben sofort unsere Möbel aufgekauft und furchtbar dabei gefeilscht“, schreibt Heinz Wasserzug, der in die USA fliehen konnte. „Meine Mutter hatte eine wunderbare Sammlung von Porzellan-Schmetterlingen, die ihre ,gute Freundin‘ sich ,schenken ließ‘. Wo du hingehst, brauchst du die sowieso nicht, habe sie gesagt.“ In einem Interview erinnert sich ein Schöneberger heute, wie der Lehrer in der Schule dozierte: Die Juden sind die Könige der Verbrecher.“ Die jüdischen Mitschüler hätten gar nicht gewusst, wie sie reagieren sollen. clk

„Wir waren Nachbarn“, bis 23. April, Dienstag bis Freitag, 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 17 Uhr, Rathaus Schöneberg, John-F.-Kennedy-Platz.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false