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Zweisprachiger Protest. Russlanddeutsche demonstrierten Anfang des Jahres in ganz Deutschland gegen die Asylpolitik der Bundesregierung.

© picture alliance / dpa

Update

Russlanddeutsche und die Wahl in Berlin: Die Stadtrat-Macher

Viele Russlanddeutsche tendieren zur AfD oder liebäugeln mit den Linken. Ein Streifzug durch den nahen Osten am Wahltag.

Im Tschechow-Theater wird heute „Der Bär“ gegeben oder besser „Medwed“, wie es auf Russisch heißt. Die Sessel für die Gäste stehen schon bereit, aber jetzt muss noch geprobt werden, denn das Stück wird auf Russisch und auf Deutsch gespielt. Um 17 Uhr geht es los, darum kann das Ensemble jetzt nicht lange über die Wahl reden, nur so viel: „Die AfD wählen wir nicht.“ Aber es gibt da ein Unbehagen über Berichte, dass angebliche Flüchtlinge „zwischendurch in ihre Heimat fahren“, was doch wohl dagegen spreche, dass sie echte Flüchtlinge seien. Und dann sei da noch die Frage, warum so viele Männer flüchten und so wenige Frauen und Kinder.
Marzahn-Hellersdorf am Wahltag. Das Tschechow-Theater gehört hier zu den Dutzenden Vereinen, die sich an die rund 25.000 Russlanddeutschen und andere Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion richten. Seit die angebliche Entführung der 15-jährigen, aus Russland stammenden Lisa im Februar nicht nur die russischsprachige Berliner Community erregte, sondern sogar in die deutsch-russischen Beziehungen schwappte, galten die Russlanddeutschen in einigen Bezirken als wichtig für die Frage, ob die AfD ein zweistelliges Ergebnis schafft und auf Bezirksebene Stadtratsposten beanspruchen kann. Denn die AfD hängte sich an die Kampagne der Moskauer Regierung, die darauf beharrte, dass Migranten Lisa missbraucht hätten. Das gilt für Marzahn-Hellersdorf, aber auch für Lichtenberg, wo sie ebenfalls die größte Zuwanderergruppe stellen.

"Hauptsache die Ausländer verschwinden"

Wirkt der „Fall Lisa“ nach? „Nein, das ist vorbei“, glaubt die 30-jährige Lena. Aber es habe da andere Vorfälle gegeben: „Mädchen, die im Freizeitforum zum Schwimmen waren, wurden von Flüchtlingen angesprochen. Die Väter haben sie dann immer begleitet“, erzählt Lena, die davon ausgeht, „dass einige die AfD wählen werden, aber die Linke ist beliebter. Vor allem Sahra Wagenknecht, die kommt auch oft im russischen Fernsehen vor.“ Das russische Staatsfernsehen spielt für viele Russland-Zuwanderer noch immer eine entscheidende Rolle als Informationsquelle.

Sarah Wagenknecht ist hier keine Unbekannte

Das hat Auswirkungen auf das Bild von Angela Merkel, die von Putins Medienmachern genüsslich zu einer Art Hauptfeindin hochstilisiert wird. Merkel gilt daher unter vielen Russlanddeutschen als nicht mehr wählbar. Ihnen gefällt eher der Amerika-kritische Ton, den Wagenknecht anschlägt und der ihr einen festen Platz in den russischen Medien beschert. Zudem punktete sie bei manchen AfD-Sympathisanten mit ihren Aussagen zum Flüchtlingsthema.
"Na klar geh ick wählen. Aber bestimmt nicht die Merkel. Hauptsache, die Ausländer verschwinden“, schimpft der 21-jährige Maik, der gerade Hunger hat und darum nicht weiterreden will. Er gehört zum Wahllokal 208, Märkische Allee, dessen Wahlvorstand Ewald Boot sich bereits um 12 Uhr über eine hohe Wahlbeteiligung freut: „Ungefähr zehn Prozent mehr als letztes Mal“, schätzt Boot. Unentwegt kommen und gehen Wähler, das ist sonst nicht so.

Wie werden sich die 16- und 17-Jährigen entscheiden?

Ein paar Straßen weiter haben es sich Wladimir und seine Freunde bei einem Bier gemütlich gemacht. „Sicher haben wir Angst vor den Flüchtlingen“, sagt er. Und natürlich werde er AfD wählen. Aber nicht nur wegen des Falls Lisa, sondern weil es ihn ärgert, „dass die Flüchtlinge willkommen sind, während sich um uns damals keiner gekümmert hat“. Ihm hat gutgetan, dass sich die AfD-Chefs positiv zur Integrationsleistung.
Und wie werden sich die 16- oder 17-jährigen Jungwähler entscheiden? Schwer zu sagen, sagt der 58-jährige Pavel. Er arbeitet mit russlanddeutschen Jugendlichen zusammen in einem Integrations-Sportprojekt und glaubt, dass „alles dabei“ ist: Linke, CDU, SPD, AfD.
Am Abend ist klar, dass die AfD in Marzahn-Hellersdorf ihr berlinweit bestes Ergebnis hat: 23,6 Prozent. In Treptow-Köpenick sind es mehr als 20, in Lichtenberg 19 Prozent. Zwei von insgesamt fünf Direktmandaten, die die AfD erringt, kommen aus Marzahn-Hellersdorf. Aber auch die Linke kann hier zwei Direktmandate abräumen, und die CDU holt zwei der begehrten Trophäen in den bürgerlichen Ortsteilen. Letztlich ein buntes Bild.

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