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Berlin: Die Wende vor Gericht

Nach dem 3. Oktober 1990 fuhren West-Berliner Arbeitsrichter in den Osten der Stadt und sammelten 6500 Akten ein.

Nach dem 3. Oktober 1990 fuhren West-Berliner Arbeitsrichter in den Osten der Stadt und sammelten 6500 Akten ein. Über Nacht waren sie zuständig geworden für alle Ost-Berliner Verfahren; die Stadtbezirksgerichte und das Stadtgericht in Ost-Berlin wurden zum Stichtag aufgelöst. Die Beschäftigten in der DDR hatten aber ganz andere Sorgen als die im Westen. In der DDR gab es keine Kündigungen, es gab ja sogar ein Recht auf Arbeit. Während der Arbeitnehmer West um seinen Arbeitsplatz kämpfte, klagte der Arbeitnehmer Ost vor allem auf Zahlung seines Lohns. Der Arbeitgeber Ost verklagte seine Arbeitnehmer auf Schadensersatz, wenn sie was kaputtgemacht hatten. „Materielle Verantwortlichkeit“ hieß das dann. Die Wende hat die Berliner Arbeitsgerichte also in ganz neue Aufgaben gestürzt und ihnen eine riesige Arbeitslast aufgebürdet. Gingen 1989 rund 23 000 neue Verfahren beim Gericht ein, bekamen schon zwei Jahre später mehr als doppelt so viele Anträge einen Aktendeckel: 49 000 Stück.

Seit 75 Jahren gibt es die Berliner Arbeitsgerichte nun, und das wird gefeiert. Die Auswirkungen der Wende stehen dabei im Mittelpunkt. Am Montag wird das Jubiläum im Roten Rathaus begangen – es sprechen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und sein Arbeitssenator Gregor Gysi (PDS), den Festvortrag hält Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts. Sie war zur Wendezeit Justizsenatorin von Berlin.

Anders als die restliche Justiz sind die Arbeitsgerichte seit 1998 mit Computern ausgestattet und voll vernetzt, die Verfahren dauern im Schnitt vier Monate. „Es geht bei uns oft um die Existenz der Rechtsuchenden, deshalb muss es zügig zu einer Entscheidung kommen“, sagt die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts, Karin Aust-Dodenhoff.

Besonders die Kündigungen wegen Tätigkeit für die Stasi haben das Gericht in den vergangenen Jahren beschäftigt, aber auch Klagen von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes wegen der Tarifunterschiede zum Westen. So löste zum Beispiel der Feuerwehrmann Klaus L. aus Mitte einen wahren Flächenbrand aus, als er sich 1995 vor dem Bundesarbeitsgericht erfolgreich auf den Gleichbehandlungsgrundatz berief und eine Vergütung nach BAT statt nach dem niedrigeren BAT-Ost erstritt. 7500 wollten es ihm sogleich nachtun. Das Gericht wurde von Klagen überschwemmt – die meisten blieben erfolglos. Fatina Keilani

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