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© Doris Spiekermann-Klaas

Betraum-Urteil: Die Werte der anderen

Nach dem Urteil zum Gebetsraum bemüht sich das Diesterweg-Gymnasium in Wedding um die Rückkehr zum Schulalltag. Bisher gibt es keine neuen Bet-Anträge.

Von Sandra Dassler

Der „Tag danach“ verlief am Diesterweg-Gymnasium nach Aussagen von Schulleiterin Brigitte Burchardt „relativ normal“. Anträge weiterer Schüler auf Nutzung des für Yunus M. im Jahr 2008 eingerichteten Gebetsraums habe es nicht gegeben, sagte die Schulleiterin.

Wie berichtet, hatte das Berliner Verwaltungsgericht am Dienstag dem muslimischen Gymnasiasten erlaubt, in der Schule, aber außerhalb des Unterrichts, das rituelle Mittagsgebet zu verrichten. Nach Ansicht der Richter bedeutet das nicht unbedingt, dass die Schule dafür einen Gebetsraum einrichten muss. „Da sich aber andere Schüler durch sein muslimisches Gebet nicht gestört fühlen dürfen – man nennt das negative Religionsfreiheit –, läuft es in der Praxis darauf hinaus, dass Yunus einen abgeschlossenen Raum benötigt“, erläutert die Schulleiterin.

Angerufen haben gestern vor allem Eltern, die ihre „Angst um den sozialen Frieden in der Schule“ teilten, erzählt sie. Manche seien auch bestürzt, weil sie aus ihren Heimatländern gerade deshalb geflüchtet seien, um strenggläubigen Ritualen zu entkommen. Außerdem gebe es gerade bei den muslimischen Schülern so viele Richtungen, dass eine Diskussion über „gute oder schlechte Moslems“ die Schüler spalten könne, befürchtet Brigitte Burchardt.

Die Sorge kommt nicht von ungefähr. Dass die Lehrer am Diesterweg-Gymnasium im Gegensatz zu anderen Schulen den Gebetsraum-Wunsch strikt ablehnten, liegt auch an einem Vorfall vor drei Jahren. Damals soll ein Lehrer ohne Absprache mit der Vorgängerin der Schulleiterin einer Schülergruppe einen Raum aufgeschlossen haben, damit sie darin beten konnten. Dann gab es Zoff. Über das, was passierte, kursieren mehrere Versionen. Die einen erzählen, die Schüler hätten wegen eines Mädchens im „Gebetsraum“ diesen als „unrein“ betrachtet. Andere behaupten, ein Mädchen mit Kopftuch und eines ohne seien in Streit geraten. Offiziell heißt es, einer Schülerin ohne Kopftuch sei der Zugang verwehrt worden.

Brigitte Burchardt sieht noch andere Gefahren auf sich zukommen: „Wenn Schüler aller muslimischen Glaubensrichtungen nach ihren jeweiligen Vorschriften beten wollten, müssten wir ein halbes Dutzend Räume bereitstellen“, sagt sie. Deshalb habe sie anderen Schüler, die ebenfalls beten wollten, bislang immer erklärt, dass das damals noch vorläufige Urteil nur für Yunus gelte.

„Es gilt nur für Yunus M. – und nur für das Diesterweg-Gymnasium“, sagt auch Jens Stiller von der Senatsbildungsverwaltung. Bei jedem anderen Antrag müsse wieder eine individuelle Prüfung vorgenommen werden. Gestern habe es solche Anträge in Berlin noch nicht gegeben, aber viele Lehrer seien beunruhigt, sagt Stiller. Auf Anfrage bestätigte er, dass vor einiger Zeit muslimische Berufsschüler in Köpenick unterrichtsfrei forderten, um am Freitagsgebet teilzunehmen. Dies sei natürlich abgelehnt worden.

Seit längerem werden hingegen muslimische Schüler für Feiertage wie den ersten Tag des Ramadan-Festes oder den ersten Tag des Opferfestes freigestellt – ebenso wie Katholiken für Fronleichnam und Allerheiligen. Lediglich evangelische Mädchen und Jungen hatten bisher das Nachsehen. Ab dem nächsten Schuljahr sollen auch sie am Buß- und Bettag sowie am Reformationstag frei bekommen.

Das Urteil um Yunus M. spaltete gestern sogar die Union. Während Kurt Wansner, der integrationspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, meint, das Urteil schade der Integration, verblüffte die CDU-Bundestagsfraktion die Senatsbildungsverwaltung mit der gegenteiligen Ansicht – und einem Vorschlag: „Im Reichstag gibt es einen Andachtsraum, der Abgeordneten aller Religionen eine Rückzugsmöglichkeit ... zum Gebet bietet“, hieß es in ihrer Pressemitteilung: „Er wird religionsübergreifend genutzt und leistet einen wichtigen Beitrag zur Verständigung zwischen Abgeordneten unterschiedlichster Herkunft. Insoweit ist er ein Modell – nicht nur für Berliner Schulen mit muslimischen Schülern.“ Die Antwort aus der Bildungsverwaltung kam prompt: „Die Situation im Deutschen Bundestag“, hieß es, „ist wohl kaum vergleichbar mit der an Schulen in sozialen Brennpunkten.“

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