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Direktkandidaten: Die heimlichen Gewinner

Niemand holte so viele Erststimmen wie Christian Ströbele und Gregor Gysi.

Die Häuserwände in der Skalitzer Straße in Kreuzberg sind mit Graffiti überzogen, dazwischen kleben Plakate von linken Gruppen. „Tempelhof besetzen“, „Gegen Naziterror in Friedrichshain“, „Thor Steinar-Laden dichtmachen“ – der grüne Direktkandidat Hans-Christian Ströbele war mit seinem Fahrrad bei jedem dieser Aufzüge dabei.

Die Kreuzberger und Friedrichshainer schätzen sein Engagement und sicherten ihm am Sonntag zum dritten Mal in Folge mit 46,8 Prozent der Direktstimmen den Sitz im Bundestag. Die meisten Stimmen bekam der 70-Jährige im Stimmbezirk 219 am Görlitzer Park in Kreuzberg. 70,9 Prozent der Wähler gaben ihm hier ihre Erststimme. Auf großen Überklebern auf seinen Wahlplakaten bedankt sich Ströbele jetzt artig bei seinen Unterstützern. Zwischen dem Grünen und dem Direktkandidaten der SPD, Björn Böhning, liegen knapp 60 Prozent Abstand. Vera Lengsfeld von der CDU konnte sogar nur 3,2 Prozent der Wähler von sich überzeugen.

„Ströbele ist doch der einzige Grüne, dem man noch vertrauen kann“, sagt Nils Keller, der in der Skalitzer Straße wohnt. Der 24-Jährige hat schon bei der letzten Bundestagswahl für Ströbele gestimmt. „Meine Zweitstimme ging aber dieses Mal an die Piraten“, verrät er. „Der Ströbele mit seinem Fahrrad gehört einfach zu Kreuzberg dazu“, findet eine junge Frau mit Kinderwagen. Dass in ihrer Straße sieben von zehn Wählern ihr Kreuz bei Ströbele gemacht haben, überrascht sie nicht. „Klar ging meine Erststimme an ihn“, sagt Anwohner Philip Beyer. „Das ist doch die beste Möglichkeit, die Grünen zu ärgern“, glaubt er. „Die hätten Ströbele doch am liebsten ganz raus aus dem Bundestag.“

Trister Plattenbau auf der einen, renovierungsbedürftige Altbauten auf der anderen Straßenseite. Die Rudower Straße in Köpenick wirkt auf den ersten Blick nicht sehr einladend. Doch für die Linke war die Bundestagswahl hier ein Heimspiel. Ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi holte im Stimmbezirk 215, rund um die Rudower Straße, 75,1 Prozent der Erststimmen. Im gesamten Wahlkreis Treptow-Köpenick waren es 44,7 Prozent. Kein anderer Berliner Politiker konnte in einem Stimmbezirk derart viele Wähler überzeugen. Entsprechend chancenlos waren die übrigen Parteien. Gysis stärkster Gegner, Niels Korte (CDU), liegt weit abgeschlagen hinter ihm – bei 10 Prozent. Eine Stimme bekam Korte von Axel Hornung. Jetzt fährt der ehrenamtliche Wahlhelfer mit seinem schwarzen Jeep durch Köpenick und sammelt die CDU-Aufsteller ein. Dass in der Straße drei von vier Anwohnern ausgerechnet Gregor Gysi gewählt haben, ärgert ihn.

„Dafür, dass er gar nichts tut, hat er ganz schön viele Stimmen bekommen.“ Immerhin habe die CDU im Vergleich zu 2005 etwas zulegen können. Ob er glaubt, dass die Christdemokraten irgendwann im Bezirk gewinnen könnten? „Man muss es halt versuchen, sonst hat man gleich verloren.“

Ein Grund für die vielen Stimmen für Gysi könnte sein, dass in der nahegelegenen Oberspreestraße zu DDR-Zeiten Militäranlagen untergebracht waren. Viele ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) sollen bis heute hier wohnen.Johannes Radke

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