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Berlin: Dirk Sager (Geb. 1940)

Er nahm nicht nur seine Zuschauer im Westen ernst

Die Postkarte zeigt vorn das Plakat für ein Programm der „Distel“: einen Sessel, auf dem eine Reißzwecke liegt. Abgestempelt ist die Zehn-Pfennig-Marke Ende November 1989. Die Mauer ist durchlässig geworden, aber sie steht noch da. Die Sicherheitsorgane in der Normannenstraße haben begonnen, rasch noch ihre unbearbeiteten Fälle zu erledigen. Wie diesen. Die Karte ist an einen Redakteur der Zeitung „Der Morgen“ adressiert, und dem wird ganz komisch, als er liest: „Lieber Freund! Deiner konspirativen Tätigkeit mit dem Moderator der ZDF-Hetz-Sendung gegen die DDR ,Kennzeichen D’, Dirk Sager, ist man auf der Spur. Mache die Fliege, ehe Du gesiebte Luft atmen musst. Wir meinen es gut mit Dir. Mit Forum-Gruss xyz.“

„Kennzeichen D“, Hetze gegen die DDR? Für die Stasi galt: Jeder, der nicht für uns ist, ist gegen uns. Und Dirk Sager versuchte, seinem Publikum im Westen den Osten zu erklären. Er tat das feinfühlig und mit großem Verständnis für die Probleme seiner Gesprächspartner und ihren Schutz. Der Mann mit der sonoren, leicht nordisch gefärbten Stimme und dem Schnurrbart war kein Hardliner, der gegen jede Verständigung „mit den Kommunisten“ wetterte wie etwa Gerhard Löwenthal. Er konnte sich sowohl in die Situation der einfachen DDR-Bürger hineinversetzen als auch die taktischen Manöver der SED-Chefs erkennen. Und er nahm nicht nur seine Zuschauer im Westen ernst, er wusste auch um seine Bedeutung für die im Osten.

Dirk Sager hatte in Berlin Amerikanistik, Politik und Publizistik studiert, kam 1968 vom Rias zum ZDF und war nachgerade prädestiniert, „Kennzeichen D“ zu leiten: Ausgerechnet am 13. August hatte er Geburtstag (ein Tag, an dem der Kollege aus dem Osten sich jedes Mal an der unvergesslichen Vorwahl 849 die Finger wund wählte, um zu gratulieren).

In den frühen Siebzigern hatten sie sich durch eine gemeinsame Freundin kennengelernt und fanden immer wie zufällig zueinander. Von Argusaugen umgeben an der Bar im Weimarer Hotel „Elephant“, bei einem Spiel des 1. FC Union oder im Berliner „Café Kisch“ Unter den Linden, wo die Wände Ohren hatten. Wenn der Gast aus dem Westen mit dem blauen Diplomatenkennzeichen am Auto nach Niederschönhausen kam, vorsichtshalber um die nächste Ecke parkte, oder an einem stillen Sonntagvormittag in eine Prenzlauer Berger Seitenstraße fuhr und zwei Pakete aus dem Kofferraum hob, in denen 52 „Stern“-Hefte steckten.

Einmal schneite der Ost-Kollege ins Moskauer ZDF-Studio, das Dirk Sager leitete. Mit seiner liebenswürdigen Höflichkeit bat er um etwas Geduld: „Ich muss noch etwas erledigen, dann ist der Wodka dran.“ Er saß gerade an einem Nachruf auf Wladimir Wyssozki, den famosen Schauspieler und Sänger. Unvergessen blieb auch die Live-Übertragung von der Beisetzung Leonid Breschnews an der Kreml-Mauer: Dirk Sager musste ein stundenlanges, todlangweiliges Zeremoniell beschreiben. Spannender waren da schon seine Reiseabenteuer im „Land der frohen Zuversicht“: ein Reporter zwischen den Gleisen, immer auf der Suche nach dem Wohl und Weh der kleinen Leute im großen Moskau wie im hintersten Kasachstan. Seine letzte Dienstreise verschlug ihn 2007 bis nach Saigon: 16 000 Kilometer mit Crew und Samowar und mit Leuten, die sich von der neuen Zeit viel Gutes erhofften und dabei oft enttäuscht wurden.

Er brachte nicht nur Filme mit nach Hause, sondern schrieb auch Bücher über seine Erlebnisse und Erkenntnisse. In „Rußlands hoher Norden – 9000 Kilometer von St. Petersburg bis zum Polarmeer“ von 2004, lesen wir: „Chodorkowski und seinesgleichen sind zu Reichtum gekommen wie früher die Günstlinge bei Hof, denen Zar oder Zarin ganze Landstriche zum Geschenk machten – mitsamt den Menschen. Mit ähnlich großzügiger Geste hatte sich Putins Vorgänger Jelzin einem kleinen Kreis von Geschäftsleuten erkenntlich gezeigt, weil sie 1996 in seine Wiederwahl investiert hatten. Der Nachfolger bringt jene zur Strecke, die nicht mehr dienstbar sein wollen, gar Widerworte wagen. Auch das hat es schon bei den Zaren gegeben.“

Der Autor hatte zwei Umbrüche erlebt und beschrieben: den in der DDR und die neue russische Zeitrechnung von Gorbatschow zu Putin. Später, im „Zwiebelfisch“, redeten die alten Freunde über alte Zeiten. Wie er damals dem mutigen Stefan Heym eine Bühne gab. Wie er Manfred Krug am Grenzübergang im Westen begrüßte, was beide zu Tränen rührte. Oder wie er einst für „Kennzeichen D“ den Karneval im thüringischen Wasungen beschrieb und ein Klosett auf einem der Umzugswagen filmte, dessen Deckel immer auf- und zuging. Aufschrift: „Das Einzige, was bei uns klappt“. Im Jahr darauf sollte jeder Themenwagen vor dem Umzug von Partei und Stasi kontrolliert werden, aber die Wasunger Narren ließen nicht mit sich spaßen und machten die Schotten ihrer Höfe dicht.

Dirk Sager hat am Neujahrsabend mit seiner Familie im Fernsehen noch „Manche mögen’s heiß“ gesehen. In der Nacht danach ist er für immer eingeschlafen.

Lothar Heinke (der im Frühjahr 1991 dem Rat des ominösen Herrn xyz gefolgt ist und „die Fliege“ gemacht hat – zu dieser Zeitung)

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