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Diskussionsveranstaltung: Autoverkehr wird an Bedeutung verlieren

Verkehrsexperten diskutierten in der Urania über die Zukunft der Mobilität in Berlin. Vor allem jungen Leuten ist ein eigenes Auto nicht mehr so wichtig.

Eigentlich müssten heute fliegende Untertassen anstatt Autos und Busse durch Berlin surren, sagte Friedemann Kunst, Leiter der Abteilung Verkehr der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Das zumindest seien vor 40 Jahren die Prognosen für den Beginn des 21. Jahrhunderts gewesen. Eingetreten ist dieses Science-Fiction-Szenario nicht, und es wird wohl auch in den nächsten 40 Jahren nicht so weit kommen. Dennoch wird sich viel tun in dieser Zeit, darin waren sich die Diskutanten am Montagabend auf dem Podium des komplett gefüllten Kleistsaals in der Urania einig. Die „Zukunft der Mobilität im Großraum Berlin“, so lautete das Thema der Gesprächsrunde. Friedemann Kunst sah drei Faktoren, die diese Zukunft maßgeblich beeinflussen werden: Die steigenden Kraftstoffkosten, die Klimaerwärmung und die zunehmende Verschuldung der öffentlichen Hand. Momentan, so Kunst, werde jeder Euro, den der öffentliche Verkehr kostet, mit 40 Cent subventioniert. „Es ist nicht selbstverständlich, dass das immer so bleibt“, sagte Kunst. Dennoch müsse man in Zukunft mehr auf denn öffentlichen Nahverkehr bauen und zukunftsfähige Konzepte schaffen. In einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren müssen die Autofahrer laut Kunst vielleicht auch mit einer stärkeren Nutzerfinanzierung rechnen. Wer mehr fährt, müsste dann mehr bezahlen. Details oder konkrete Vorschläge machte Kunst nicht.

Es sieht ohnehin aus, als hätte das Auto im Stadtverkehr keine allzu rosige Zukunft. Das Nutzungsverhalten der Verkehrsteilnehmer verändert sich schon jetzt: Weniger Autoverkehr, mehr Radler, Fußgänger und öffentliche Verkehrsmittel – ein Trend, der sich seit Jahren beobachten lässt und sich nach der Prognose der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auch in Zukunft fortsetzen wird. „Deshalb müssen wir unsere Infrastruktur umbauen und mehr Raum für die Radfahrer schaffen“, sagte Lenz.

Vor allem jungen Leuten ist ein eigenes Auto nicht mehr so wichtig. Barbara Lenz, Direktorin des Instituts für Verkehrsforschung, sagte, das Auto verliere als Statusobjekt und Symbol für individuelle Freiheit an Bedeutung, zu Gunsten von Geräten wie dem iPhone. „Es gibt eine Neubesinnung auf die Funktionalität des Autos.“ Auch Kunst bestätigte diesen Wandel: „Nutzen statt Besitzen“ werde das Motto der Zukunft sein. Das Auto werde aus dem Berliner Stadtverkehr zwar nicht verschwinden, viele Unternehmer zum Beispiel werde nicht ohne es auskommen. Aber die Mehrheit der Berliner sei nicht mehr auf ein Verkehrsmittel fixiert. Dieses „multimodale Verkehrsverhalten“ wolle man fördern,zum Beispiel mit Leihsystemen von Fahrrädern und Elektrobikes. Denkbar sei aber auch, das Konzept des Carsharings zu unterstützen, indem man es mit den Tickets für die öffentlichen Nahverkehrsmittel verknüpft.

Ulrike Dust vom Volkswagen Design Center in Potsdam ging noch weiter: „Ich könnte mir Mobilitätsagenturen vorstellen, die nicht nur Carsharing anbieten, sondern auch die Kinder zur Schule bringen oder Einkäufe erledigen“, sagte sie. Denkbar sei auch, dass die Berliner Wohnungsbaugesellschaften Mobilitätsdienstleistungen anbieten, beispielsweise Gemeinschafts-Autos, die ihre Mieter bereits auf dem Parkplatz erwarten.

Carsharing, weniger Raum für Autos, flexiblere Nahverkehrskonzepte – sollten diese Visionen tatsächlich Wirklichkeit werden, hätte das auch Auswirkungen auf die Art der Autos, die in der Stadt unterwegs sind. VW-Designerin Dust sprach von leichteren und kleineren Fahrzeugen mit Elektroantrieb, geeignet für die Stadt und ihr Umland. Momentan seien Autos noch zu sehr auf schnellen Überlandverkehr ausgerichtet, sagte sie und zitierte einen ehemaligen Greenpeace-Aufsichtsrat: „Solche Autos in der Stadt zu fahren, ist, als würde man mit einer Kreissäge Butter schneiden.“ Mit mehr Elektroautos sei das Problem des Klimawandels aber noch nicht gelöst, sagte Dust. Die Autoindustrie könne zwar den Energieverbrauch ihrer Fahrzeuge senken und Elektrofahrzeuge herstellen. Für einen umweltfreundlicheren Strommix seien aber die Energiekonzerne zuständig.

Für die Entwicklung kleinerer Autos wäre auch die derzeit diskutierte Einführung von Tempo 30 hilfreich, sagte Dust. Friedemann Kunst befürwortete die Einführung, weil dadurch weniger, und vor allem weniger schwere Unfälle passieren würden. Bei geltender Rechtslage müsste die Verwaltung Tempo 30 für jeden Einzelfall begründen. Eine generelle 30-Regelung müsste in der Straßenverkehrsordnung festgeschrieben werden. Kunst sagte, eine solche Änderung würde „ein Bewusstsein erzeugen, dass 30 km/h ein angemessenes Tempo in der Stadt ist“. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass das Publikum in Applaus ausbrach.

Christian Helten

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