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Berlin: Dortmund liegt Polen näher als Berlin

Ost-West-Drehscheibe – nur ein Schlagwort? Die Hauptstadt nutzt ihre Grenznähe zu wenig. Wirtschaftssenator Wolf setzt auf Reisediplomatie

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wenn Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) am Sonntag nach Breslau und Posen fährt, um für Berlin als Handelspartner zu werben, muss er gegen mächtige Konkurrenz ankämpfen. Denn das „Tor zum Osten“ wollen alle sein. Von Prag über Wien, Passau, Leipzig, Dortmund und weiter hoch in den Norden werben viele große und kleine Wirtschaftsräume mit diesem Slogan. „Schon im Mittelalter war die Region mit ihrer Zentralität zwischen Ost und West eine Drehscheibe für den regen Handel.“ Das steht nicht etwa in den Broschüren der Berliner Wirtschaftsverwaltung, sondern in einem Prospekt des finnischen Landstrichs Päijet-Häme.

Dabei war Berlin, genauer gesagt West-Berlin, seit den siebziger Jahren um Begriffsbildungen nicht verlegen, um die eigene politische und ökonomische Rolle festzulegen. Gern borgten sich die Politiker Vokabeln aus der Welt der Fein- und Grobmechanik aus: Berlin als „Motor der Deutschlandpolitik“ (SPD-Spitzenkandidat Hans Apel 1984); als „Seismograph der Ost-West-Beziehungen“ (Regierender Bürgermeister Richard von Weizsäcker 1982); als „Scharnier für ein größeres Europa“ (Regierungschef Walter Momper 1989). Ganz zu schweigen von der „Ost-West-Drehscheibe“ Berlin, die seit über 20 Jahren zirkuliert. Ausschließlich „Pfahl im Fleische der DDR“ oder „Schaufenster des Westens“ wollte die eingemauerte Stadt da nicht mehr sein. Spätestens seit Abschluss des Viermächte-Abkommens 1974 wurde eine Politik des Ausgleichs und der Verständigung mit den Nachbarn im Osten zur Staatsdoktrin.

Wirtschaftlich hatte das aber nur im Verhältnis zur DDR größere Bedeutung. Ein Besuch der Messe im polnischen Posen war für Wolfgang Lüder (FDP), der 1976 Wirtschaftssenator wurde, noch ein richtiges Abenteuer. „Nach internationalem Recht hätten wir dort gar nicht vertreten sein dürfen“, erinnert er sich. Die Sowjets verlangten, dass am Messeeingang auch die West-Berliner Bärenflagge hängen sollte. Das war aus bundesdeutscher Sicht eine Zumutung. Die Polen lösten das Problem auf ihre Weise: „Das Fähnchen wurde als letztes, ganz unten an den Mast gebunden und dann haben die Messeveranstalter zufällig vergessen, den Rasen zu mähen“, erzählt Lüder. Und der offizielle Empfang der West-Berliner Delegation wurde auf eine Zeit verlegt, als der – vom Osten unerwünschte – „BRD-Botschafter“ kurzzeitig außer Landes war und sich von seinem Geschäftsträger vertreten ließ.

Das waren Tricks, auf die sich Senator Wolf nicht mehr besinnen muss. Er hat ganz andere Probleme. „Berlin kann, was die Dynamik des Osthandels angeht, im Vergleich mit anderen Bundesländern trotz seiner Lagevorteile bisher nicht Schritt halten“, schätzt die Wirtschaftsbehörde des Senats selbstkritisch ein. In dürren Zahlen heißt das: Kaum mehr als zehn Prozent des Berliner Exports geht in Länder Mittel- und Osteuropas. Das große Russland eingeschlossen. Es sieht eher so aus, als wäre die deutsche Hauptstadt ein „Tor zum Westen“ für die Polen: Der Import blüht in Berlin. Nach den USA führen polnische Unternehmen die meisten Waren hier ein.

Als Messeplatz, als Ziel für Touristen und als Hochschulstandort ist Berlin für Mittel- und Osteuropäer durchaus interessant. Für Russen und Polen auch als Einwanderungsort. Und wer sich’s leisten kann, macht einen Tagesbesuch, um im KaDeWe oder am Potsdamer Platz einkaufen zu gehen. Aber: Beim wirtschaftlichen Handel und Wandel hinkt die Stadt trotz schöner Absichtsbekundungen hinterher. Und das kurz vor der Osterweiterung der Europäischen Union. So gesehen, ist es nicht besonders kurios, dass sich ausgerechnet Dortmund als „Tor zum Osten“ anpreist. Nordrhein-Westfalen wickelt fast ein Viertel des deutschen Handels mit Polen ab. In der Fachwelt wird Wien als gut funktionierender Brückenpfeiler für den Ost-Westhandel gelobt. Die Wiener Stadtregierung hat dafür schon 1999 einen „Strategieplan“ entwickelt. Das Motto: „Go East from Vienna“. Die Österreicher profitieren, wie manche Ruhrgebietsstädte auch, von frühen Ostaktivitäten ihrer Unternehmen und wirtschaftlichen Netzwerken, die seit Jahrzehnten bestehen.

Die geographische Nähe Berlins „zum Osten“ mag für die Zukunft hilfreich sein. Doch als Standortvorteil allein reicht es offenbar nicht aus. Dabei gibt es in Berlin überdurchschnittlich viele „Ost-West-Akteure“: Unternehmen, Verbände, Forschungseinrichtungen usw., aber der Senat beginnt erst jetzt, die Kräfte zu bündeln. Zum Beispiel mit dem „Ost-West-Kooperationszentrum“ in Adlershof. Es wird ein bisschen gekleckert – aber noch nicht geklotzt.

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