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Berlin: Drei Bärte und ein Nassrasierer

Vier Prominente und ein Mandat: In Pankow haben Thierse (SPD), Nooke (CDU), Schulz (Grüne) und PDS-Chef Liebich gute Chancen

Die Pankower haben es gut. Um sie bemühen sich in diesem Wahlkampf keine matten Hinterbänkler, sondern ambitionierte Abgeordnete, bekannte Namen, Politiker, die ein Amt und einen Ruf zu verlieren haben. Drei Bärte und ein Nassrasierer. Erstens: Wolfgang Thierse, SPD, Bundestagspräsident, Stimme des Ostens, Katholik in der Diaspora, Inhaber des Direktmandats. Vollbart Typ Philosoph.

Zweitens: Günter Nooke, CDU-Direktkandidat ohne Listenplatz – den haben ihm die Parteifreunde nicht gegönnt. Deshalb erinnert Nooke gerne daran, dass er – Günter Nooke – zur Wahl stehe, nicht „die Berliner CDU“. Nooke ist Kultur- und Medienfachmann, im Wahlkampf aber Alleserklärer und Wechselstimmungsherbeiredner. Vollbart, Typ Deutschlehrer.

Drittens: Dreitagebart Werner Schulz. Bündnisgrüner, ebenfalls ohne Listenplatz. Wirtschaftspolitiker, aber viel wichtiger im Wahlkampf: Agitator gegen die „Kanzlerdemokratie“. Sympathiewellenreiter, wuchtiges Rhetoriktalent. Wie die beiden anderen von der DDR geprägt und in der Lage, das Ostgefühl vieler Pankower aufzunehmen und mit grünen Ideen zusammenzubringen.

Stefan Liebich, Berliner PDS-Landes- und Fraktionschef, ohne Bart, rasiert sich nass. Er verteidigt die Steuererhöhungspläne der Linkspartei wie die ganze Polit-Konstruktion. Thierse liegt vorn, doch seine Konkurrenten haben Chancen – je nachdem, wie sich der Bundestrend entwickelt. Schulz könnte von seinem Rebellenruhm profitieren.

Dann ist da noch eine Idealistin. Gabriele Heise, Rechtsanwältin, FDP-Direktkandidatin, löwenherzige Wahlkämpferin – weil sie nicht gewinnen kann. So bürgerlich ist Pankow noch nicht, dass die Liberalen hier viel holen können. Aber Gabi Heise beansprucht unverdrossen auf jedem Podium einen Platz und erklärt, warum die Hartz-Reformen allenfalls „in die richtige Richtung“ gehen.

Da erleben manche Leute lichte Momente – wenn Heise vorrechnet, was es sie, die selbständige Anwältin, kosten würde, eine Kinderfrau für ihren kleinen Sohn einzustellen. Die Frau hatte sie schon gefunden, erzählt Heise an einem warmen Abend der vergangenen Woche im „Frei-Zeit-Haus“ sechzig dampfenden Zuhörern. Die mögliche Kinderfrau, so die Anwältin, bekam – selbst Mutter – 1400 Euro vom Staat. Um auf 1400 Euro netto zu kommen, hätte ihr Heise rund 2600 Euro zahlen müssen – zu viel. Für die FDP-Politikerin ergibt sich daraus, dass die Hartz-Reformen zu wenig auf die Nebenkosten der Arbeit wirken.

Das sind in Pankow keine populären Thesen. Aber was bewegt die Leute überhaupt in diesem Wahlkampf? Wut, Groll und Frust jedenfalls nicht – oder nicht mehr. Wolfgang Thierse, umfragenmäßig der Favorit, steht am Antonplatz in Pankow und versucht, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Den „Thierse-Kurier“ bietet er Passanten an, außerdem Zeit und, wenn nicht gewünscht, „ein schönes Wochenende“. Nur zu dem mürrischen Graukopf mit dem verschlagen blickenden Kampfhund hält er Abstand. Ansonsten: freundlich-distanziertes Minimalinteresse. Einer von zwanzig Vorübergehenden schimpft: „Sie glauben doch nicht, dass ich Ihre Partei noch mal wähle?!“

Es war schon schlimmer. „Die Wut- und Beschimpfungsphase ist vorbei“, sagt Thierse. Jetzt, da der Wahlkampf richtig losgegangen ist, hat die Massage-Phase begonnen. Es ist die für die Kandidaten mühsamste Zeit: Sie müssen Wählerseelen erreichen, weich und gewogen machen. Zwei Tag vorher hat Thierse im leichten Regen an der Hauptstraße in Wilhelmsruh vor einem Supermarkt gestanden, mit dem „Thierse-Kurier“ in der Hand. Kaum jemand ist so richtig diskussionlustig, also ziehen Thierse und seine Mitarbeiter samt Personenschützer in einen Coffee-Shop gegenüber. Die Pause haben sie verdient, nach vier Stunden in zwei Altentagesstätten am Nachmittag. Latte macchiato für alle, Cappuccino für den Chef.

Aber der Koffeinschub vor dem Termin im Jugendclub muss warten. Eine junge Frau kommt und stellt Thierse die eine böse Frage: „Was wollen Sie eigentlich anders machen?“ Die Frage ist für einen SPD-Mann noch schlimmer als der Groll der Frustrierten. Steht Hoffnung dahinter – oder Enttäuschung? Ist die, die da fragt, zu erobern oder zurückzuerobern? Oder ist sie verloren für Thierse und die SPD, getragen und getrieben von der Wechselstimmung, auf die der CDU-Mann Günter Nooke hofft.

Im tendenziell noch immer linken Pankow muss sich Nooke mächtig selbst motivieren. Kein Wunder, dass er der aggresivste der Kandidaten ist, wenn er mit anderen auf einem Podium sitzt. An einem Dienstag Nachmittag missionieren sie alle fünf an der Friedrich-List-Oberschule. Thierse kommt – nicht zum ersten Mal in diesem Wahlkampf – Schulsenator Klaus Böger (SPD) in die Quere: Eine junge Frau beklagt sich, dass in den ersten beiden Wochen nach den Ferien schon achtzehn Unterrichtsstunden ausgefallen seien – warum, fragt sie, investiert der Staat nicht in die Zukunft? Da müssen die Repräsentanten des Politbetriebes das System erklären, Bundes- und Landespolitik unterscheiden.

Nooke kann sich dann, anders als Thierse und Schulz, als der Hoffnungsmacher darstellen, Angela Merkels „Politik aus einem Guss“ erklären und Zukunftsinvestitionen versprechen. Nie vergisst er, die Leute daran zu erinnern, dass er nicht auf der CDU-Landesliste abgesichert ist, mit dem Landesverband nicht viel zu tun hat – aber, wenn es wichtig ist, zu Merkel „durchgestellt“ werde.

Doch keinem der Kandidaten fliegen in den Schülerdiskussionen oder beim Materialverteilen auf der Straße die Sympathien zu. Es schwappen keine Emotionen durch die Aulen der Schulen oder über die Pankower Straßen. Am direktesten bekommt Werner Schulz Sympathie zu spüren. Etwa als er an der Schönhauser Allee unter dem grünen Sonnenschirm steht, wo S- und U-Bahn am Abend Menschenmassen durch den Bahnhof und über die Straße pumpen, Proleten Bier trinken, Rentner mit Einkaufstaschen düstergesichtig vorbeischieben und junge Frauen nach dem Job zur „Fitness Company“ gehen. Da bekommt Schulz plötzlich einen freundlichen Klaps auf die Schulter seiner schwarzen Jeansjacke. Der Mann sagt bloß: „Dankeschön, dass Sie das im Bundestag gesagt haben.“

Ob die Sympathien den Rebellen bis zum Wahltag tragen? In diesem Wahlkampf ohne großes Thema wird wohl die gefühlte Nähe entscheiden. Als der junge Mann der Linkspartei an einem Morgen die Geschäftstelle der Volkssolidarität in der Wolfshagener Straße besucht, fliegen ihm die alten Herzen nur so zu. Das gibt es auch noch im Bezirk Pankow in Berlin: dass sich dreißig Rentner in einer Altbau-Wohnung treffen, die nach Kohleheizung riecht. Liebich sagt, er sei als junger Mann „vom System der DDR sehr überzeugt“ gewesen. Dann kommt das Linkspartei-Programm mit Steuererhöhung und Mindestlohn. Nötig ist das nicht. Die Stimmen der Freunde der Volkssolidarität sind Liebich sicher. Die Leiterin der Geschäftsstelle sagt in sanft rollendem Sächsisch, „unsere Genossinnen Petra und Gesine“ – die beiden PDS-Frauen im Bundestag – könnten nicht alles allein machen.

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