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Ein halbes Jahrhundert Vorsprung. Zwei Rentnerinnen unterwegs durch Berlin.

© IMAGO / Steinach

Gentrifizierung in Berlin-Friedrichshain: Drei Rentnerinnen und ihr Leben im Partykiez

Berlin wird immer größer und jünger. Unser Autor hat drei alte Damen gefragt, wie sie den Wandel in ihrem Kiez erleben.

Eigentlich sind drei ältere Damen beim Canasta-Spielen nichts Besonderes. In dieser Gegend aber schon: Boxhagener Platz, Szenekiez, Hipster in Cafés. Das Berlin, das Neuberliner anzieht. Im Durchschnitt sind die drei Damen, die hier etwas abseits vom Geschehen in einem weißen Raum im Erdgeschoss sitzen, ein halbes Jahrhundert älter als die Menschen um sie herum. Die einen sind mit dem Fixie unterwegs, die anderen mit dem Rollator.

Studenten, Geflüchtete und junge Kreative - alle wollen in die Stadt, in der jeder sein Leben so leben kann wie er will. Das zumindest ist der Traum.

Neue Daten vom Statistischen Landesamt zeigen: Friedrichshain-Kreuzberg bleibt weiterhin Berlins jüngster Bezirk. Aber es geht noch detaillierter: Die Statistiker schlüsseln ihre Daten in knapp 450 Untereinheiten auf. Diese zeigen: Auf der Liste der jüngsten Kieze steht die Gegend um den Boxhagener Platz auf Rang zehn. Im Durchschnitt sind die Menschen hier nur 34 Jahre alt. Jünger sind nur einige Industriegelände wie die Gegend um den Wriezener Bahnhof, die überraschenderweise den ersten Platz belegt.

Die drei Rentnerinnen sind im Schnitt ein halbes Jahrhundert älter als die anderen Menschen im Kiez

Das Berlin immer jünger wird, liegt vor allem daran, dass immer mehr Menschen nach Berlin ziehen. Allein im ersten Halbjahr 2016 sind bereits 42 800 Menschen nach Berlin gezogen. Die meisten von ihnen sind jung. Wie verändert das die Stadt? Der Tagesspiegel hat drei Menschen gefragt, die es wissen müssen.

Waltraud Dorenburg ist mit 90 Jahren heute die Älteste in der Selbsthilfegruppe für alleinstehende Senioren. Sieglinde Ude ist 82 Jahre alt und Barbara Ernst ist mit 70 Jahren die Jüngste im Bunde. Alle drei wohnen länger in ihren Häusern als alle anderen Mieter. Alle drei wohnen am Boxhagener Platz. Barbara Ernst seit 21 Jahren, Sieglinde Ude seit 36 Jahren und Waltraud Dorenburg seit über einem halben Jahrhundert. Gemeinsam sind sie so etwas wie das Kiezgedächtnis.

Junge und Alte leben aneinander vorbei

Die drei Damen sitzen mit ihren Canasta-Karten am Tisch und reden über die Veränderungen im Kiez: „Weniger Bäume“, sagt Dorenburg. Schweigen. Dann sagt Ude: „Ja, die Bäume haben die Wohnungen ganz schön verdunkelt.“ Harm nickt. „Und die kleinen Läden sind alle weg“, sagt Ude.

„Ja, vor allem die alten Metzgereien fehlen“, sagt Ernst. Alle nicken. Die Berliner Mieten, unbezahlbar seien sie inzwischen. Nicht für sie natürlich. Ihre Mietverträge stammen noch aus Mauerzeiten.

Und wie ist der Kontakt mit den jungen Nachbarn? Gibt's eigentlich gar nicht, meint Ernst. Man lebt so aneinander vorbei. Von den Studenten im Haus bekommen sie kaum etwas mit.

„Eigentlich sind die ja ganz nett“, sagt Waltraud Dorenburg. Die beiden anderen stimmen zu. „Ja, die tragen mir auch immer den Einkauf hoch“, sagt Barbara Ernst. „Aber da ist so ein Kommen und Gehen – da weiß man nie, wer da gerade wohnt.“

„Aber nett sind sie trotzdem“, sagt Frau Dorenburg und schaut aus dem Fenster. Draußen gehen zwei Punks mit Hunden vorbei und verschwinden in dem kleinen Park zwischen Weserstraße und Boxhagener Straße. „Die spinnen doch“, sagt Sieglinde Ude kopfschüttelnd. Die anderen Damen schütteln ihre Köpfe mit. Abends gehen sie nicht mehr auf die Straße, sagen sie. Ihre Altersschwächen sind nicht zu übersehen: Zwei von ihnen benutzen einen Rollator, die dritte geht mit Stock. Sie haben Angst, dass sie zu leichten Zielen für Überfälle werden. Aus dem selben Grund wollen sie nicht, dass ihre echten Namen in der Zeitung erscheinen.

Das Leben im Kiez hat sich verändert: Die Leute um sie herum werden immer jünger. Und sie gehören hier inzwischen zu einer seltenen Spezies, den Alten im hippen Berlin.

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