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Berlin: Drogenhölle Kinderspielplatz

Am Weinbergspark in Mitte wird gedealt. Was eine Mutter im Kiez erlebt. Ein Bericht

An einem Sonntagvormittag, die Sonne knallt mit voller Wucht, laufe ich mit meinem Mann und den Kindern den Weinbergsweg hinauf zum Park und auf den Spielplatz. Immerhin hat er die besten Schaukeln weit und breit. Selbst ich kann mit einem Jauchzen in den Himmel fliegen. Auf dem Fußballplatz spielt ein Vater mit drei Jungs Fußball, zwei Zweijährige schippen in dem Buddelkasten den Sand von links nach rechts und meine Kinder klettern auf dem Holzgerüst. „Ist das schön“, dachte ich so bei mir.

Das war es auch. Bis auf die drei Jungs mit Basecaps und Kampfhund, die vor einer vergammelten abrissreifen Holzhütte am Rand des Platzes hockten. Der Kampfhund machte die Kinder verrückt und die Jungs mit Basecap fixierten ihre Umgebung im permanenten Rundumblick. Ihr Anführer, Anfang 20, mit schwarz gegeltem Haar, drückte seinen Jungs kleine Päckchen in die Hand und telefonierte mit seinem silbernen Handy.

Mein Mann, ein Spanier, saß in Lederjacke und mit Sonnenbrille auf einer Bank vor der Holzhütte. Eigentlich sah er aus wie der Oberdealer. Das mussten sich die Jungs mit den Basecaps wohl auch gedacht haben, als sie ihn musterten und ihr Anführer sein silbernes, etwa 20 Zentimeter langes Messer präsentierte. Der Anführer markierte sein Revier. Mein Mann registrierte das silberne Messer und pflegte weiter in aller Seelenruhe seine Fingernägel mit einem silbernen Schnipser.

In mir fing es an zu kochen: „Das ist doch meine Stadt, hier bin ich aufgewachsen, ich lass mir nicht den Platz wegnehmen, das ist ein Spielplatz“, dachte ich und dabei sah ich auf die Kinder, die über den Platz rannten, und ihre Stimmen jauchzten vor Vergnügen. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich rannte auf den Anführer zu und schrie ihn mit aller Kraft und Wut an: „Schämst du dich nicht, man, das hier ist ein Kinderspielplatz, hier spielen Kinder. Schämst du dich nicht, hier Drogen zu verkaufen.“ Ich schrie all meine Angst heraus. Mein Mann hatte aufgehört, seine Fingernägel zu pflegen und war zu mir geeilt. Der Anführer tat so, als ob er mich nicht hörte und lief vor mir, um zu verschwinden. Ich mit den Kindern und meinem Mann im Schlepptau hinterher, hörte nicht auf, den Dealer zu beschimpfen: „Verkauf doch, wo du willst, aber nicht auf einem Kinderspielplatz.“

Mein Mann zerrte an meinem Arm und zischte mir ins Ohr: „Halt jetzt sofort deinen Mund, du dumme Kuh. Der Typ hat so ein Messer.“ Dabei zeigte er mit seinen Händen, wie groß das Messer ist: „Wenn der jetzt zu dir sagt, halt die Klappe, was denkst du, werde ich dann tun vor den Kindern?“ Mein Geschrei endete abrupt. Der Anführer verschwand, ohne sich umzusehen, und ich war den Tränen nah. Ja, ich habe meine Klappe gehalten.

Zwei Schwarzafrikaner liefen durch den Buddelkasten zu der Holzhütte. Ihre weißen Sportschuhe wirkten wie riesige Elefantentreter. Ihre schwarzen Augen glänzten, vielleicht waren die beiden 16 Jahre alt. Ihr Gang war wippend. Im Reggae-Rhythmus liefen sie durch den Buddelsand. Über den Platz kam ein Mann gelaufen, sein Kopf drehte sich permanent in alle Richtungen, wie ein gehetztes Tier lief er. Mit beiden Händen hielt er seine zu große Sportjacke umschlossen, sein dunkelblondes kurzes Haar fettig.

„Mama, guck mal, wie ich klettern kann“, rief mein Sohn von der obersten Sprosse des Klettergerüstes. „Toll“, rief ich. „Fast bis zur Sonne, mein Schatz.“

Der gehetzte Mann lief zur vergammelten Holzhütte. Er bekam von den Schwarzafrikanern ein kleines Päckchen und er drückte ihnen Geld in die Hand. Genauso gehetzt, wie er kam, lief er den Weg am Fußballfeld wieder zurück, wobei sein Gang jetzt zielstrebiger war.

Ich griff zögerlich zu meinem Handy. Muss ich das wirklich tun, jemanden anschwärzen, dachte ich. Ich wählte 110, fühlte mich schlecht dabei und fragte den Polizeibeamten: „Sagen sie mal, muss ich mit meinen beiden Kindern am Sonntagvormittag auf einem Kinderspielplatz zusehen, wie in aller Ruhe Drogen verkauft werden?“ Nein, müsse ich nicht, erwiderte der Beamte trocken, sie würden sich sofort darum kümmern. Es dauerte auch wirklich nur zehn Minuten, die Wache ist 200 Meter vom Park entfernt, da zerstörte die Polizeisirene die sonntägliche Latte-Macchiato-Stille.

„Mann, warum kommen die denn mit Blaulicht“, dachte ich nur. Von Anfang an war mir klar, dass diese ganze Aktion komplett sinnlos war. Die zwei Schwarzafrikaner liefen in aller Seelenruhe im gewohnten Reggae-Rhythmus durch den Buddelkasten, verabschiedeten sich mit gestrecktem Mittelfinger und verschwanden.

Die Polizei kam mit sechs Leuten in Uniform. Sie durchsuchten routiniert die Holzhütte. Dachten die wirklich, hier noch jemanden zu finden? Ich ging auf sie zu und sagte: „Die sind schon lange weg.“ Ich fragte den einen dickeren, kleinen Polizisten, warum man dagegen nichts machen kann.

Der kleine, dickere Polizist sah mich skeptisch an und zögerte kurz mit seiner Antwort: „Sie halten mich jetzt bestimmt für einen Faschisten. Aber was denken sie, wie oft wir hier waren, wie oft wir die Leute hier festnehmen. Das sind alles arme schwarze Teufel ohne Aufenthaltserlaubnis, die sowieso wieder abgeschoben werden, denen kann rechtlich gar nichts passieren.“ Die einzige Frau unter den Polizisten mischte sich ein: „Fahren sie mal in so eine Gerichtsverhandlung, setzen sie sich mal in so eine Verhandlung rein. Das macht doch alles keinen Sinn.“ Sinn macht das nicht, dachte ich: „Nehmen sie mir doch nicht alle Illusionen“, sagte ich müde. Der dritte Polizist hatte sich breitbeinig vor mir aufgebaut und die Hände in seinen schwarzen Ledergürtel eingehakt. Abgebrüht erwiderte er: „Ne, Illusionen nehmen wir Ihnen nicht, wir machen ihnen nur keine.“

Einige Nächte später fuhr ich zu meinem Mann in die Bar, die ihm gehört. Am Weinbergsweg stand eine Polizeiwanne, von innen erleuchtet. Darin saßen zwei festgenommene Araber und vier Polizisten. Keiner von denen sah glücklich oder zufrieden aus. Müde waren ihre Blicke.

Später saß mein Mann neben mir am Tresen und wir entspannten bei einem Gin Tonic. Zwei Typen kamen in die Bar, und schon beim Öffnen der Tür zog sich mir der Magen zusammen. Der eine bullig und mit schwarzen Haaren. Der andere Mann klein mit Zickenbart, dunkelblond, schiefen Zähnen, Jogginghose und irrem Blick: „Wir ham gehört, hier kann man wat trinken, gib ma ein Glas Leitungswasser“, schnodderten sie den Barkeeper an. Meine Augen klebten auf dem kleinen Irren, der meinen Blick aggressiv erwiderte.

Der Kleine mit dem irren Blick zischte durch seine schiefen Zähne zu dem Barkeeper: „Hast du Angst?“ Ein Bekannter von uns, ein Regisseur mit Dreitagebart, Jack-Wolfskin-Jacke und Sonnenbrille auf dem Kopf, verabschiedete sich vorsorglich. Sein Gehen wurde von dem kleinen Irren laut kommentiert: „Die Surfer verlassen das sinkende Schiff.“

Mir war schlecht. Ich wusste, der kleine Irre war irre genug, einfach so jemanden abzustechen. Die beiden Typen bestellten zwei Kurze. Nach dem Trinken zischten sie den Barkeeper an: „Du hast da Salz reingemacht, die Scheiße schmeckt nach Salz.“ Der Barkeeper beteuerte, dass er ungesalzene Drinks serviert hätte. Mein Strohhalm schien vor angestautem Gin Tonic zu bersten. Mein Mann neben mir zog sehr intensiv an seine Zigarette.

Der bullige Typ sagte zu dem Barkeeper: „Wir können die Sache hier auch ganz schnell ganz anders regeln, was guckst du denn da immer zu dem Typen am Tresen“, sagte er und deutete dabei in Richtung meines Mannes. „Ist das dein Bruder oder Chefchen oder was?!“ Mein Mann sagte zu mir, ich solle verschwinden. Ich ging mit meinem Gin Tonic und zwei Zigaretten über den Hinterausgang bis in den zweiten Stock. Ich trank meinen Gin Tonic am blinden Fenster, zündete mir die neue Zigarette mit der alten an und wartete auf ein Knallen, ein Scheppern von auf aufeinanderklatschenden Körpern. Ich war aus meiner Bar verschwunden, wegen zwei Irren. Ich hörte kein Klatschen. Minuten später rief mich mein Mann und meinte, es sei alles in Ordnung.

Er war mit den Typen rausgegangen, die ihm mitteilten, dass sie richtige Berliner sind und er ein „Scheiß-Auswanderer“. Dass sie ihm die Konzession wegnehmen würden: „Ick ruf da morgen an, du Auswanderer, du machst Salz in deine Drinks, ick bin Berliner, du nisch.“ Mein Mann antwortete, dass er mit einer echten Berlinerin verheiratet ist und zwei Kinder hat. „Det interessiert mich nicht, du Scheiß-Auswanderer“, war die Antwort von dem irren Nazi. Danach sind sie schimpfend abgedampft.

Ich hatte keinen Bock mehr, nicht auf die Bar, nicht auf den Weini, nicht auf Berlin. Ich als Berlinerin hatte keinen Bock mehr auf Berlin.

„Warum hast du die die ganze Zeit angestarrt, ist doch klar, dass die das hochschaukelt, wenn ’ne hübsche Frau dazwischen ist“, meinte mein Mann. „Ach, jetzt bin ich auch noch schuld“, erwiderte ich sauer. Natürlich fuhr ich allein nach Hause. Mein Mann konnte den italienischen Barkeeper nicht alleine lassen, vielleicht würden die „Berliner“ ja wiederkommen. Sind sie auch. Sie haben die Terrasse demoliert und sich gekloppt mit meinem Mann und dem italienischen Barkeeper. „Scheiß-Auswanderer“, haben sie dabei geschrien.

Tanja Leston

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