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Nur ein Joint? Kiffen ist bei Jugendlichen weitverbreitet.

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Drogenpolitik in Berlin: Rot-Rot-Grün will Null-Toleranz-Zonen für Cannabis abschaffen

Berlins rot-rot-grüne Koalition will die Präventionsarbeit massiv ausbauen. Vereinbarungen der Vorgängerregierung sollen rückgängig gemacht werden.

Von Sabine Beikler

Jeder zehnte 18- bis 20-Jährige konsumiert hierzulande Cannabis. Laut Deutscher Suchthilfestatistik liegt der Beratungs- und Hilfebedarf aufgrund eines problematischen Cannabis-Konsums inzwischen auf Platz zwei hinter Alkohol. In Berlin leben schätzungsweise 24 000 Cannabis-Abhängige, 13 Prozent der 17- bis 24-Jährigen sind problematische Cannabis-Konsumenten: Sie kiffen mindestens einmal am Tag. Die Dunkelziffer ist hoch, denn „die Prävention riskanten Cannabiskonsums wird häufig ignoriert oder tabuisiert“, sagt Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention in Berlin. Die rot-rot-grüne Koalition will deshalb massiv die Präventionsarbeit ausbauen und dafür deutlich mehr Geld im nächsten Doppelhaushalt bereitstellen.

Seit elf Jahren hat die Berliner Fachstelle für Suchtprävention, die laut Europarat im nationalen Vergleich zu den besten zählt, sechs Mitarbeiter, die in der Beratung tätig sind. „Wir brauchen viel mehr Teams, die zum Beispiel in die Schulen oder in Ausbildungsstätten gehen“, sagt Jüngling. Sie bräuchte noch weitere sechs fachlich ausgebildete Mitarbeiter. Am liebsten würde sie eine mobile Suchtberatungsstelle aufbauen und selbst aktiv zu den potenziellen Konsumenten Kontakt suchen. Denn bisher fragen Schulen bei der Fachstelle an, wenn sie Präventionsbesuche haben möchten. Zwar gibt es seit einem Jahr in jedem Bezirk einen sogenannten Cannabis-Koffer mit Info-Material. Aber dieser wird von den Schulen, wie berichtet, zu wenig genutzt.

Problem ist nicht gelöst worden

500.000 Euro erhält die Fachstelle pro Jahr vom Land Berlin. SPD-Gesundheitspolitiker Thomas Isenberg will sich dafür einsetzen, dass dieser Betrag „deutlich aufgestockt“ wird. Um die Präventionsarbeit effektiv zu stärken, müsste laut Experten das Budget mindestens eine Million Euro ausmachen. Die Koalition will auch ihr Aktionsprogramm Gesundheit finanziell aufstocken. Mit 800.000 Euro jährlich werden Projekte in den Bereichen gesunde Stadt, gesundes Aufwachsen, gesunde Arbeitswelt, gesund älter werden sowie Sport und Bewegung gefördert. Nun soll auch noch der Aspekt Suchtvermeidung und -bekämpfung aufgenommen werden.

Rot-Rot-Grün hat sich, wie berichtet, auf neue Wege in der Drogenpolitik verständigt. Mit dem Ziel einer liberalen Drogenpolitik sollen die von der großen Koalition eingeführten Null-Toleranz-Zonen für Cannabis-Besitz in Berlin wieder abgeschafft werden. Eine solche Zone ist der Görlitzer Park. „Mit null Toleranz ist das Problem überhaupt nicht gelöst worden“, sagen Isenberg und Jüngling. Eine Stigmatisierung der Konsumenten sei nicht dienlich für gute Präventionsarbeit. Statt mit Strafen zu drohen, setzen Suchtexperten darauf, dass Cannabis-Konsumenten ihr Verhalten reflektieren und gegebenenfalls verändern. Konsumenten müssten „Rauschkompetenz“ erlernen.

Drug-Checking soll aufgebaut werden

Wie auch im Koalitionsvertrag verankert, will Rot-Rot-Grün einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zur regulierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene beantragen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bisher jedoch dafür keine Genehmigungen erteilt. Isenberg sagt, ein solcher Antrag müsse wissenschaftlich fundiert sein. Er rechnet damit, dass dieser in etwa zwei Jahren erarbeitet werden könne.

Konsens in der Koalition ist auch, ein sogenanntes Drug-Checking aufzubauen, das Konsumenten ermöglicht, illegal erworbene Substanzen auf Inhaltsstoffe und Reinheitsgrade überprüfen zu lassen. Auch dafür soll im Doppelhaushalt Geld eingestellt werden.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Florian Graf warnte die Koalition davor, Cannabis „zu Genusszwecken“ zu legalisieren. Die Union setze auch weiter auf Prävention, Repression und Therapie. Eine Aufweichung der bisherigen Drogenpolitik hätte, so Graf, jedoch „fatale Auswirkungen“ vor allem auf Kinder und Jugendliche.

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