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Dunkle Jahreszeit: Wie viel Helligkeit braucht Berlin?

Den einen macht die Dunkelheit Angst. Sie wünschen sich für ihre Sicherheit mehr Laternen in Grünanlagen. Andere kämpfen gegen die unnatürliche Lampenflut. Der kürzeste Tag des Jahres steht bevor.

In den Sträuchern lauern Schatten. Schemenhaft zeichnet sich am Fußweg durch den Görlitzer Park eine Menschengruppe ab, die nach den Stimmen zu urteilen aus jungen Männern besteht. Am Eingang des Parks an der Wiener Straße sind einige Straßenlaternen ausgefallen, und der Parkweg liegt komplett im Dunkeln – dabei ist es gerade mal 17 Uhr. Es ist einer dieser Winterabende, an denen sich die 19-jährige Lea zweimal überlegt, ob sie direkt durch den Park nach Hause geht oder nicht doch lieber den Umweg mit der U-Bahn in Kauf nimmt. „Als junges Mädchen wurde ich im Park mal mit einem Messer bedroht”, sagt die Abiturientin. Seitdem entscheidet sie auf ihrem Weg nach Hause jeden Abend spontan, welchen Weg sie wählt: „Fühle ich mich gut, gehe ich schnell durch den Park.“

Dunkle Ecken in Berlin gibt es viele, besonders um diese Jahreszeit. Da am Montag um 18.47 Uhr Wintersonnenwende ist, steht die längste Nacht des Jahres mit über 16 Stunden bevor. Im Sommer findet man abends auf Berlins Wiesen kaum ein freies Plätzchen, im Winter machen die Berliner um ihre Grünanlagen lieber einen Bogen: wie am Böcklerpark in Kreuzberg, wo nur wenige Laternen funktionieren, oder am Landwehrkanal in Charlottenburg, wo selbst Radfahrer Angst haben, dass ihnen aus den Gebüschen Gefahr droht. Und auch im unbeleuchteten Volkspark Friedrichshain, in den die 32-jährige Marlina Carl nach Einbruch der Dunkelheit nur sehr ungern geht. „Und das, obwohl ich immer meine Hündin Dada bei mir habe.“

„Angsträume“ werden diese Gegenden, die von vielen Bürgern am Abend und des Nachts als sehr unsicher empfunden werden, bei den zuständigen Bezirken genannt. Sie sind seit Mitte der Neunziger für die Beleuchtung der Grünanlagen verantwortlich und lassen diese aus Kostengründen oft im Dunkeln liegen. „Überall gibt es Gründurchwegungen, die sich die Bürger beleuchtet wünschen. Doch finanziell ist das ein Fass ohne Boden“, sagt der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing (SPD), der in seinem Bezirk unter anderem die Beleuchtung des Parks am Buschkrug für dringend notwendig erachtet. Auch der Baustadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Klaus-Dieter Gröhler (CDU), sieht großen Handlungsbedarf. „Vor allem ältere Bürger haben oft Angst, im Dunkeln unterwegs zu sein“, so Gröhler. Dabei gibt es bislang aus polizeilicher Sicht so gut wie keine statistisch erwiesenen Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Dunkelheit auf der einen und Sicherheit und Helligkeit auf der anderen Seite: Urängste und das Sicherheitsempfinden, nicht die Realität, spielen bei der Gefahreneinschätzung die größte Rolle.

Oft bringen private oder Initiativen eines Quartiersmanagements Licht in die Dunkelheit, so wie im Neuköllner Körnerpark. Dort sorgt im dritten Winter ein künstlerisches Illuminationsprojekt dafür, dass Anwohner den Park – „eigentlich ein dunkles Loch im Winter“, so Reimar Seid vom dortigen Quartiersmanagement – vermehrt für abendliche Spaziergänge nutzen. Auch in der Pestalozzistraße am Pankower Anger wurde ein neu gebauter Tunnel lichtkünstlerisch gestaltet. „Denn es muss ja nicht sein, dass zusätzlich neue Angsträume gebaut werden“, sagt der grüne Pankower Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner. Die 2007 durch ansässige Künstler angeregte und durch das Quartiersmanagement Schöneberger Norden finanzierte Galerie von rund 400 Lichtobjekten in der Steinmetzstraße hingegen leuchtet in diesem Jahr nicht mehr: Die Fördergelder fehlen. „Es gibt leider viele Negativbeispiele in unserem Kiez“, so Corinna Lippert vom Quartiersmanagement. Dazu gehöre auch die Gegend rund um die Zwölf-Apostel-Kirche nahe der Kurfürstenstraße, wo dunkle Ecken dem dort ansässigen Straßenstrich als „Arbeitsräume“ dienen.

Doch es gibt auch Interessengruppen, die sich gegen eine Beleuchtung der Grünanlagen aussprechen. Zu ihnen gehört der Verein Freunde des Mauerparks. „Parks sollen ein Stück Natur in der Stadt darstellen, daher finden wir es richtig, dass sie nicht beleuchtet werden“, sagt Gisela Gauer vom Verein. Besonders der empfindliche Tag-Nacht-Rhythmus kleinerer Tiere könne so besser geschützt werden – denn rund 150 Milliarden Insekten und etliche tausend Vögel sterben jährlich in Deutschland durch Kunstlicht. Viele Menschen teilen Gauers Ansichten. Zu ihnen gehört Roy Hengst von der Initiative gegen Lichtverschmutzung „Dark Sky“. „Berlin ist in den letzten 25 Jahren um vieles heller geworden – in den Achtzigern konnte man an einigen Orten noch die Milchstraße mit bloßem Auge erkennen. Heute muss man 60 Kilometer weiter südlich fahren, um überhaupt mehr als ein paar Hauptsterne zu sehen”, sagt der 44-jährige Treptower. Vor allem der Hauptbahnhof sei lichttechnisch gesehen „eine wahre Dreckschleuder”.

Der durch Kunstlicht erhellte Nachthimmel macht auch den Sternwarten Probleme. Zunächst einmal wird ihre Arbeit erschwert durch erleuchtete Gebäude, blinkende LED-Werbetafeln, Sky-Beamer sowie das jährliche Leucht- und Blink-Wettrüsten zu Weihnachten. Auch der astronomische Nachwuchs bleibt weg. „Kein Wunder, da rund ein Drittel der unter 30-Jährigen noch nie die Milchstraße gesehen haben – ein natürliches Interesse für die Astronomie kann so kaum wachsen“, sagt Monika Staesche von der Wilhelm-Foerster-Sternwarte auf dem Schöneberger Insulaner.

Doch Thomas Uhlmann, der gerade das Buch „Das Ende der Nacht“ über globale Lichtverschmutzung veröffentlicht hat, bescheinigt Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten eine positive Lichtimmissionsbilanz: „Berlin ist noch sehr gemäßigt, der Potsdamer Platz und das Regierungsviertel sind vorbildlich beleuchtet.“ Uhlmanns Einschätzung könnte sich möglicherweise ändern, wenn die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2010 das neue Lichtkonzept für Berlin vorstellt. „Wir wollen darin auch entscheiden, welche markanten Gebäude wir in Zukunft anstrahlen wollen“, sagt Sprecherin Petra Rohland.

Nun steht aber erst mal die Wintersonnenwende 2009 vor der Tür. Was für viele Menschen ein Grund ist, sich in der längsten Nacht des Jahres zu Hause mit einem Tee, einem Buch oder Film einzumuckeln, lässt andere erst richtig aktiv werden: Zusammen mit 15 weiteren Berlinern fährt Mario Enrico Hannig vom Mother-Earth-Project aus Charlottenburg raus in die Natur nach Brandenburg, um hier das sogenannte Julfest zu feiern, bei dem das vergangene Jahr verabschiedet und Energie für das neue gesammelt wird. Dabei gibt es sogar einen Ritus, der für die Erfüllung besonderer Wünsche im neuen Jahr sorgen soll, erzählt Hannig. Denn trotz LED-Leuchten, Sky-Beamern und weihnachtlich blinkenden Balkonen: Die zwölf längsten Nächte rund um den Jahreswechsel gelten als Zeit der Wunder. Und die wirken bekanntlich am besten im Dunkeln.

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