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Berlin: Edmund Hennrich (Geb. 1939)

Nur bei "Er schenkte mir den Eiffelturm" tat er sich ein wenig schwer

Von David Ensikat

Er war sechs Jahre alt und nur unwesentlich größer als ein Akkordeon, als er einem Akkordeonspieler das Instrument stahl. Der Musikant schlief betrunken in der Ecke der Kneipe. Edmunds Vater arbeitete dort und nahm den Sohn manchmal mit. Edmund schleppte das Akkordeon nach Hause, spät genug, dass niemand es bemerkte, und er wusste: Das ist mein Instrument.

Gewiss, er musste dieses erste, gestohlene, am folgenden Tag zurückgeben. Aber seine Eltern kauften ihm ein eigenes, eins für Kinder.

Sein letztes Akkordeon, ein rotes mit dem Namen „Weltmeister“, hat er sich vor 20 Jahren gekauft. Es hängt jetzt an der Wand in seinem Köpenicker Haus über den beiden Keyboards. In den Regalen der holzgetäfelten Stube stehen dutzende Biergläser dicht an dicht, die er sehr gern und oft mit seiner lauten, immer fröhlichen Musik zum Klirren brachte.

Kein Tag, sagt Eva, seine letzte Frau, an dem er keine Musik gemacht hätte. Er war ja kein Mensch von Traurigkeit, und das, fand er, sollte die Welt auch wissen. Er kam zu Eva in die Küche und spielte ihr eins vor, weil er wusste, dass das nicht nur dem Zusammenleben, sondern auch dem Essen zuträglich war.

Als er 16 war, fälschte er seinen Ausweis, um in Kneipen Musik machen zu dürfen, mit 18 ging er ins Ruhrgebiet, um unter Tage Geld zu verdienen, konnte dort allerdings mit dem Akkordeon wenig anfangen und kehrte also, als er 20 war, nach Friedrichshain zurück. Dort wurde Edmund Kellner. Und zwar ein ganz hervorragender, denn wenn die Stimmung gut war, übergab er das Tablett der Chefin, griff zum Instrument und spielte seine Schlager, sang dazu, und die Stimmung wurde noch viel besser.

In den Sechzigern und frühen Siebzigern spielte und sang Edmund in einer Tanzmusikkapelle, der „Goldstern Combo“. Ein Schwarz-Weiß-Foto hängt in seiner Stube. Bass, Schlagzeug, Gitarre und Akkordeon, allesamt mit Schlips und Kragen. Bass und Schlagzeug sind schon etwas länger tot, jetzt ist auch Edmund, den sie Krawatten-Eddie nannten, gestorben. Nur der Gitarrist lebt noch, dement in einem Altersheim.

Die DDR war kein Land mit weitem Horizont. Aber Edmund liebte die Seemannslieder, wie überhaupt all jene Schlager, die von der Ferne handelten, Junge komm bald wieder, La Paloma. Wohin also ging der Berliner, der nicht weg wollte, aber irgendwie doch fort? Zur Weißen Flotte ging er. Kellnerte auf Ausflugsdampfern und holte auch hier, wenn’s darauf ankam, sein Akkordeon hervor und steigerte mit Schunkelliedern den Umsatz.

Am dankbarsten waren die Rentner, und sie gaben das meiste Trinkgeld. Aber auch Betriebsausflüge auf den Dampfern waren sehr beliebt. Im Netto-Supermarkt bei Edmund um die Ecke arbeitet eine Verkäuferin, die noch heute von einem dieser Ausflüge schwärmt. Edmund hatte ihn fürs Kaufhallen-Kollektiv organisiert.

Wie gesagt, er war kein Kind von Traurigkeit. Den Frauen fühlte er sich sehr zugewandt, Feuerlocke nannte er sie oder Taube. Und vielen Frauen gefiel der Mann, der so schöne Lieder von der Liebe und vom Schmerz sang, auch ganz ausgezeichnet. Viermal war er verheiratet, und ein langes inniges Verhältnis unterhielt er zu der Frau seines besten Freundes, der Gitarre spielte, seinerseits ein Verhältnis mit einer anderen hatte und Edmund die Sache keineswegs verübelte.

Die erste Frau hieß Renate, er hat sie am Ostbahnhof kennengelernt. Die Zweite hatte er geheiratet, damit sie in Berlin bleiben durfte; damals brauchte man die staatliche Genehmigung, in der Hauptstadt der DDR zu wohnen. Seine dritte Frau traf Edmund im Kulturhaus des Werks für Fernsehelektronik. Sie arbeitete wie er im Ausschankgewerbe, kam mit dem Alkohol aber nicht so gut zurecht. Um sich mehr um sie zu kümmern, gab er die Stelle bei der Weißen Flotte auf und übernahm den Lebensmittelkiosk auf dem Bahnsteig B des Ostbahnhofs. Das war in den Achtzigern, und er arbeitete dort bis 1996. Inzwischen war die dritte Frau gestorben, und er lernte Eva kennen, 14 Jahre jünger als er und schnell verliebt in den Mann mit dem Akkordeon, der immer so adrett gekleidet war, wunderbare Komplimente machte und auch Blumen schenkte.

Den beiden blieben 13 schöne Jahre in seinem Haus in Köpenick mit den vielen Gartenzwergen davor und dem Swimmingpool dahinter. Gemeinsam hörten sie Musik; was ihm gefiel, brachte er sich bei und spielte es am Tag und in der Nacht. Nur bei Kristina Bachs „Er schenkte mir den Eiffelturm“, wo es am Ende der Strophen von Moll nach Dur geht, tat er sich ein wenig schwer.

Im vergangenen Jahr hatten Eva und Edmund einen Wochenendausflug in ein teures Ostsee-Hotel unternommen. In dem Haus, das früher hier stand, hatte er mal gekellnert, damals, als die Kellner noch zu den Großverdienern gehörten. In diesem Sommer wollten sie eine ganze Woche hin. Aber Edmund lag im Krankenhaus. Er starb in der Woche, die sie gebucht hatten. David Ensikat

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