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Ehrenamtliches Engagement an der St-Matthias-Kirche: Nachtschicht im Garten

Wenn es dämmert, greift Meik Kurz zu Schere und Schaufel. Nach Feierabend pflegt er die Beete am Schöneberger Winterfeldtplatz - ohne Lohn.

Wenn die Glocke im Turm der St.-Matthias-Kirche acht Mal schlägt, beginnt Meik Kurz mit der Arbeit. Die Menschen strömen in die Kneipen um den Winterfeldtplatz in Schöneberg, aber Kurz, Anfang 40, hat kein Interesse an einem Feierabendbier. Er inspiziert mit wachen Augen die blühenden Stockrosen und Lilien. Er hat sie selbst gepflanzt auf dem Grün vor dem Portal, genauso wie die Azaleen und Tulpen an den Flanken des Kirchenschiffes. Eigentlich hat der Hobbygärtner hier alles gepflanzt. Die Blätter zwischen seinen Fingern sind schon ein bisschen welk, das macht Kurz Sorgen – die trockene Hitze der vergangenen Tage. Es gibt an diesem Abend noch viel zu tun. „Ich arbeite hier oft bis spät in die Nacht“, sagt der gelernte Landschaftsgärtner, der tagsüber als Verkäufer arbeitet. „Manchmal aber auch bis zu zehn Stunden. Dann wird es hell und ich weiß: Jetzt ist es endgültig Zeit, ins Bett zu gehen.“

Dabei ist der Gärtner eigentlich nicht für die Pflege der Grünflächen rund um die Kirche zuständig – das ist Aufgabe des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Zweimal im Jahr ließ der die großen Rhododendronbüsche kahl schneiden, ansonsten verwahrloste das Grün. „Das ist kein übler Wille. Es ist einfach den fehlenden Ressourcen geschuldet“, erklärt Stadtrat Oliver Schworck (SPD). Wegen seiner Lage am Winterfeldtplatz ist der Kirchengarten nicht als Grünanlage, sondern als „Straßenbegleitgrün“ eingestuft. Lediglich 72 Cent gibt es im Jahr zur Pflege eines Quadratmeters. Vor fünf Jahren dann schlenderte Kurz, der direkt in einer Nachbarstraße wohnt, an einem Hochzeitspaar vor dem Kirchtor vorbei. „Sie haben Fotos gemacht, und die Brennnesseln im Hintergrund waren darauf genauso hoch wie Braut und Bräutigam“, erzählt Kurz. „Was für eine Schande, dachte ich, den Garten eines Gotteshauses so verkommen zu lassen.“ Also fragte Kurz spontan beim Bezirk nach, ob er nach der Arbeit ohne Entlohnung aushelfen dürfe. Er durfte, holte seine Schaufel und begann zu graben.

Auf den ersten Blick sieht Kurz nicht wie ein Vollblutgärtner aus. Er trägt braune Sandalen, Shorts und einen Turnbeutel, der an seinem schmalen Kreuz hin und her baumelt. Was ihm an Stärke fehlen mag, machte er in den letzten fünf Jahren durch Ausdauer wett. Zuerst musste Kurz alle Büsche ausheben und den Boden wieder fruchtbar machen. Also sammelte er in Ikea-Taschen kiloweise Laub und grub den Humus wieder in die Erde ein. Noch heute werden die wertvollsten Pflanzen, sobald Kurz sie eingesetzt hat, oft gestohlen. Das schmerzt besonders, schließlich bezahlt Kurz alle Gewächse aus eigener Tasche. „Es gab schon öfter Momente, da dachte ich: Jetzt lasse ich es einfach“, sagt er. Trotzdem kam er immer wieder zurück auf seine Spielwiese. „Ich wollte, dass hier zu jeder Jahreszeit etwas Neues blüht. Das Vorbild ist ein wildromantischer englischer Landschaftsgarten. Es sollte eben kein geordneter Park werden, wo ein Margaritenblümchen neben dem anderen sitzt. Ich glaube, so einen Garten wie diesen gibt es in ganz Berlin nicht.“

Einige Passanten schlendern an den Rosen vorbei und machen Großaufnahmen der weißen Blüten. „Ich genieße den Duft der Lilien!“, ruft eine ältere Dame Kurz zu. „Toll, oder?“, sagt der und freut sich über das Kompliment. "Die sind jetzt erst aufgegangen." Die Gemeinde ist begeistert von dem neuen Garten, erzählt eine Mitarbeiterin der Kirchenverwaltung. Wenn die 5000 Tulpen im Frühjahr blühen, sei das einfach großartig. Auch die Politik begrüßt das Engagement. „Ich wünschte mir, dass es noch viel mehr Menschen gäbe, die ihre Umwelt so verschönern“, sagt Stadtrat Schworck. Über die fehlende Unterstützung des Bezirks beschwert sich Meik Kurz nicht. „Ich bin froh, dass mir keiner reinredet. Das ist mir viel wichtiger“, sagt er. Einen Wunsch habe er da aber doch: „Wenn ich einen Wasseranschluss hätte, das wäre toll. Das Schleppen von der Pumpe kostet viel Zeit.“

Ein letztes Mal schlendert der Gärtner durch die Beete, dann geht es schnell nach Hause. Turnbeutel auspacken, Schaufel einstecken.

Zeit für die nächste Nachtschicht.

Kalle Harberg

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