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Berlin: Ein 75-Jähriger stiftet anonym 10 000 Mark - sein Vater hatte während des Krieges eine Ukrainerin beschäftigt

Sein Name soll in der Öffentlichkeit nicht genannt werden. Anonym hat ein Berliner Unternehmer im Streit um die Zwangsarbeiter-Entschädigungen jetzt ein Zeichen gesetzt.

Sein Name soll in der Öffentlichkeit nicht genannt werden. Anonym hat ein Berliner Unternehmer im Streit um die Zwangsarbeiter-Entschädigungen jetzt ein Zeichen gesetzt. In einem Brief an Otto Graf Lambsdorff, den Beauftragten der Bundesregierung über die Verhandlungen zur Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, erklärt er, dass sein Vater in seinem Restaurant während des Krieges eine ukrainische Zwangsarbeiterin beschäftigt hat. Der Unternehmer kündigt in dem Brief an, 10 000 DM Entschädigung leisten zu wollen.

Eine Liebe führte den gebürtigen Münsteraner an seinem Lebensabend nach Berlin. Und im Rückblick auf sein in Münster begründetes und als Jugendlicher dort erlebtes Leben kommt dem Unternehmer der Filmbranche unter anderem auch Anna in Erinnerung, Anna aus der Ukraine. Anna war im elterlichen Restaurant in Münster in den letzten drei Kriegsjahren beschäftigt. "Das war sie sicher nicht freiwillig", wie der jetzt 75-Jährige an Otto Graf Lambsdorff schreibt. Der Beauftragte dürfte am heutigen Sonnabend den kurzen Brief des Münster-Berliners in der Post finden. Darin kündigt der Absender an, 10 000 DM "zur Entschädigung beizutragen", in einer ersten Rate 5000 DM und dem ausdrücklichen Zusatz an den Beauftragten: "Sorgen Sie dafür, dass auch Gelder in die Ukraine fließen." Erst dann werde er die zweite Rate überweisen. Am liebsten, so schrieb er dem Beauftragten auch, fände er Anna wieder, die gleich nach Kriegsende verschwunden war, etwas älter als er sein müsste, heute vielleicht 75 Jahre.

Das elterliche Restaurant in Münster, Warendorfer Straße / Ecke Kaiser-Wilhelm-Ring, teilte in den Kriegsjahren täglich 400 Essen aus an Gäste, die dort ihre entsprechenden Abschnitte der Lebensmittelkarten gleichsam wie im Abonnement abgegeben hatten. Das war in jener Zeit überall in Deutschland gang und gäbe. Da war viel zu tun und wenig Personal zur Hand. Eine "Dienststelle" teilte dem Restaurant die Ukrainerin Anna zu: "Ob mein Vater Lohn gezahlt hat, glaube ich nicht, eher an eine deutsche Dienststelle". Anna war untergebracht wie deutsche Angestellte auch.

Gespräche mit dem Vater, also dem Restaurantbesitzer, nach dem Kriege spielten sich offenbar so lückenhaft ab wie in vielen deutschen Familiengesprächen über das, was soeben beendet wurde. Das rechtfertigt aus heutiger Sicht keinen Verdacht gegen diesen Vater. Dessen Sohn blickt von Berlin aus auch auf andere Eindrücke aus der Jugend in der Provinzialhauptstadt Münster zurück. Das Vaterhaus wurde von den Nationalsozialisten zu verbrecherischem Zweck bestimmt. Dort wurden am 15. Dezember 1941 alle jüdischen Bürger der Stadt, es sollen 151 Menschen gewesen sein, zusammengetrieben. Und von dort aus wurden sie zum Güterbahnhof gebracht. Sie wurden nach Riga, Lettland, in ein Getto, einer Zwischenstation, verschleppt. Am Ende dieser Reise erwarteten sie die Mörder.

Daran erinnert eine Gedenkstele vorm Haus in Münster. Diese kam auch auf Betreiben des Gastwirtssohnes und auch seiner Schwester, die noch in Münster wohnt, zustande. Und die Stele ist zur freudigen Überraschung des Ruhestands-Berliners nicht besudelt worden. Vielmehr lägen oft Sträuße davor, würden Kerzen entzündet. Die Stadt Münster habe im Dezember 1996 eine öffentliche Trauerfeier für ihre verschleppten jüdischen Mitbürger gehalten, und vom Sammelplatz, also dem väterlichen Haus aus, wurde im trauernden Gedenken an die Menschen deren letzter Weg in Münster bis zum Güterbahnhof gegangen. All ihre Namen wurden verlesen. Eine Frau hörte zu. Sie war die einzige, die übrig geblieben war.

Ein Münsteraner Lehrer war später nach Riga gereist, um womöglich zu erfahren, wie und wo der letzte Weg der Menschen geendet hatte. Wie aber wäre denn jene Anna aus der Ukraine zu finden, von der nur der Vorname bekannt ist? Ob sie noch lebt, ist weniger eine Frage von ungefähr 75 Lebensjahren, sondern auch eine an die Geschichte jener, die keineswegs in fürsorglich umfangende Hände in ihrer Heimat geraten waren, sondern in die Fäuste der Stalinisten.

Und so wäre der Münster-Berliner froh, würde seine Spende auch wirklich, wenn schon nicht Anna, so doch einer ihrer Leidensschwestern oder einem ihrer Leidensbrüder in der Ukraine zu Gute kommen. Das Erübrigte von einem, dem es im Lebensabend gut geht, eine liebevoll-trauernde Erinnerung aber an seine Münstersche Jugend bindet, an Anna, den Namen für alle ihre Leidensgefährten.

Ekkehard Schwerk

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