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Berlin: Ein alter Hase auf Neuland

Horst Brandt hat über 40 Jahre lang Diebe, Brandstifter, Terroristen und Mörder gejagt. Jetzt hat der Kriminaldirektor a.D. ein Buch geschrieben

Der Anschlag auf die Discothek La Belle? Der Hotelbrand am Kurfürstendamm? Die Gasexplosion in der Lepsiusstraße? Nein, über diese Kapitel musste Horst Brandt nicht diskutieren, kämpfen musste er mit den Lektoren um die eher unspektakulären Fälle. Wie beispielsweise die Geschichte von dem 52-Jährigen, der es sich in einer Lichtenberger Pizzeria richtig gut gehen ließ, fürstlich speiste und dann erklärte: Holen Sie die Polizei! Ich bin total pleite! Der italienische Wirt zeigte Mitleid, ließ den Obdachlosen ziehen, doch dieser kam nicht weit: Nach 100 Metern wurde er von vier Jugendlichen überfallen, die den Mann beim Schlemmen beobachtet hatten. Die Angreifer hielten ihn für wohlhabend und traten ihn tot, als sie ihren Irrtum bemerkten. „An solchen Fällen erkennt man doch erst die zunehmende Verrohung der Sitten“, sagt Horst Brandt, Berliner Kriminaldirektor a.D.

Brandt – roter Pulli, blaues Hemd, goldene Brille –hat verwirklicht, was sich so viele für den Ruhestand vornehmen: ein Buch zu schreiben. Nur, dass der Mann in seinen 42 Dienstjahren gesehen hat, wovon nicht einmal die kreativsten Kriminalautoren träumen. Als Schutzpolizist. In der Mordkommission. Bei der Terroristenbekämpfung… Vier Jahre lang war Brandt Chef vom Referat 41, hatte die Mordkommissionen unter sich, die Vermisstenstelle und die Inspektion für Sexualdelikte. Die ständige Gewalt habe ihn zuweilen an die Grenze gebracht, seelisch und körperlich. Trotzdem hat er „bis zum Schluss mit Leidenschaft“ Verbrecher gejagt.

Jetzt, knapp fünf Jahre nach der Pensionierung, liegt das Buch also vor ihm: Jenseits vom Tatort. Authentische Kriminalfälle (Militzke Verlag, 12,80 Euro). „Ein schönes Gefühl“, sagt Brandt, während er durch die Kapitel blättert. Gelbe Zettel schauen zwischen den Seiten hervor, sie sollen ihn leiten bei der Lesung. In der polizeihistorischen Sammlung, vor Dutzenden Kollegen, am gestrigen Dienstagabend. Aufgeregt? Brandt lächelt. „Na ja, das ist ja schon Neuland.“

Aber eines ist fast sicher. Wieder wird einer dasitzen, der nach Derrick & Co, Fiktion und Realität fragen wird. Und wieder wird Brandt antworten: „Derart schöne Tatortwohnungen habe ich in 42 Jahren nur zwei, drei Mal gesehen.“ Außerdem bestehe eine Mordkommission aus acht bis neun Ermittlern. Keine Alleskönner, sondern Teamarbeiter: einer gehe zur Gerichtsmedizin, einer erledige die Tatortarbeit, einer die Vernehmungen der Zeugen…

Treppenterrier – mit diesem Spruch foppen sich die echten Ermittler gegenseitig, wenn sie nach einem Mord nach Zeugen suchen. Hier klingeln, da klopfen, misstrauische Nachbarn und neugierige Kinder ausquetschen. Brandt erzählt in seinem Buch vom Aufstieg bei der Polizei. Den Kollegen. Den Opfern. Und gewissermaßen nebenbei kann der Leser lernen, welche Schablonen echte Polizisten nutzen, wenn sie über Raub, Mord und Totschlag schreiben. Ein Beispiel: „So gingen sie dem betrunkenen Mann mit dem Ziel des Überfallens und Beraubens hinterher und streckten ihn mit gezielten, gemeinsamen Schlägen gegen Kopf und Körper nieder.“

400 Seiten hatte Brandts Manuskript einst, auf 200 Seiten hat der Verlag es zurechtgestutzt. Viel Autobiografisches flog hinaus, na ja, auch sein Engagement für den Opferschutz fanden die Lektoren nicht so spannend. Böse ist Brandt darüber nicht. Dafür nimmt mehr Platz die Zeit beim Staatsschutz ein, als Brandt bei den Ermittlungen zu den Anschlägen auf die Disko „La Belle“, das „Maison de France“ und die „Deutsch-Arabische Gesellschaft“ in erster Reihe stand.

Einst galt der Mann als gefürchtet, heute jagt ein weißes Fellbündel um den Esstisch, der Hund des Hauses. Von law und order keine Spur. Brandt seufzt lächelnd. „Er hört aufs Wort, nur nie aufs erste.“

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