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Berlin: Ein Berliner für Bush Ein Berliner gegen Bush

Henry Nickel, 25 Jahre alt, leitet den deutschen Ableger der Republikaner Jerry Gerber, 74 Jahre alt, gründete die Auslandsorganisation der Demokraten

Henry Nickel zieht eine Landkarte aus seiner Tasche. Sie zeigt die Bundesstaaten der USA, markiert mit drei Farben. Blau für demokratisch, Rot für republikanisch und Gelb für Wechselwähler. „Auf Gelb konzentrieren wir uns.“ Die will Henry Nickel rot sehen. Eine Hoffnung, die in Berlin nur eine Minderheit teilt.

„In Berlin für die Republikaner zu werben, ist eine Herausforderung“, sagt Nickel. Der junge Unternehmer ist in seiner Freizeit Chef des deutschen Ablegers der US-Republikaner. Er ist 25 Jahre alt und stammt aus einer kalifornischen Republikanerfamilie. Mit den Feinheiten des Wahlkampfes und der Parteienfinanzierung ist der Politologe gut vertraut, er schwärmt von Bushs Steuerpolitik, der Stärkung des Militärs und der, wie er findet, verlässlichen US-Außenpolitik.

Sollte es George W. Bush im November gelingen, ein zweites Mal US-Präsident zu werden, dann könnte das zum Teil an der Arbeit von Henry Nickel und seinen rund 20 Mitstreitern liegen. Seit einigen Wochen werben sie unter den in Deutschland lebenden Amerikanern dafür, per Brief zu wählen und ihre Stimme Bush zu geben. Sie laden zu Diskussionsveranstaltungen ein, sprechen vor Schulklassen, werben im Internet und veranstalten einen regelmäßigen Stammtisch für Berliner Republikaner-Fans. „Die Stimmen der Auslandsamerikaner sind wichtiger denn je“, sagt Nickel und verweist auf das knappe Ergebnis im Jahr 2000, als George W. Bush mit einigen hundert Stimmen Vorsprung siegte. Damals war Nickel in den USA.

In Berlin hat der Republikaner schweres Spiel. Anders als auf den US-Militärbasen in Westdeutschland seien nach Berlin vor allem Künstler und Akademiker aus den USA gekommen – die traditionell den Demokraten zuneigen. „Vor allem seit dem Krieg ist hier eine deutliche Ablehnung der Bush-Regierung zu spüren“, hat Nickel festgestellt. Er registriert aber auch ein wachsendes Interesse der Amerikaner in Deutschland an seiner Partei: Rund 20 Anfragen erreichen ihn pro Woche alleine über seine Website, sagt Nickel. Das war früher weniger.

Er selbst ist allerdings auch nicht immer zufrieden mit allen Entscheidungen der Bush-Regierung. Vor allem der Stil, in dem der Präsident sich im Ausland darstellt, sei verbesserungsbedürftig. Auch die Folterfotos aus irakischen Gefängnissen seien schrecklich, sagt Nickel, um sogleich rhetorisch zu fragen: „Aber wäre es besser, Saddam würde die Menschen immer noch unterdrücken?“ Generelle Kritik am Irak-Einsatz hat er nicht: „Wir betreten Neuland, und da werden auch mal Fehler gemacht.“

Nach Deutschland kam Henry Nickel vor vier Jahren aus Neugierde. Beim Politikstudium in Washington hatten ihn besonders die EU und Osteuropa interessiert. Also flog er nach dem Abschluss und einer vorübergehenden Beschäftigung beim US-Finanzministerium los, um zu gucken, was die neuen Länder ihm bieten können. Jetzt lotet er von Berlin aus die Märkte in Osteuropa aus und sucht nach Anlagemöglichkeiten für die von ihm gegründete Finanzdienstleistungsfirma Capitalliance. Außerdem hat er sich im Dreiländereck hinter Dresden ein Häuschen gekauft, das er an den Wochenenden renoviert. „Ich liebe die Herausforderung“, sagt Nickel. Das sei der amerikanische Geist.

Kontakt zu Republicans Abroad: Henry Nickel, Tel. 0173-1077632. Internet: www.gopgermany.com

„Register to vote now!“, steht auf dem Zettel, den Jerry Gerber über seinen Tisch schiebt – melde dich für die Wahl an! Hinter dem Slogan schaut der legendäre Uncle Sam mit Bart und Zylinder hervor, der einst zum Eintritt in die US-Armee aufforderte. Auf dem Flugblatt trägt er einen Button mit der Aufschrift „Dump Bush!“ – Schluss mit Bush.

Das ist das erklärte Ziel von Jerry Gerber (74) und seinen „Democrats Abroad“, dem Berliner Ableger der US-Demokraten. Gegründet haben der frühere Journalist und sein Mitstreiter, der Pastor William Downey, die Gruppe vor acht Jahren. Damals warben sie unter Berlins Amerikanern für die Wiederwahl Clintons. Jetzt trommeln sie für den Bush-Herausforderer John Kerry.

Die Liste ihrer Argumente, die sie bei Diskussionen, Stammtischen und über Flugblätter vebreiten, ist lang. Der Irakkrieg, Kyoto, Bushs Ablehnung des Internationalen Gerichtshofes, die rigide US-Innenpolitik – „immer mehr Amerikaner sind entsetzt über diese Politik und wollen Bush loswerden“, sagt Gerber. Der Ruheständler mit dem grauen Bürstenhaarschnitt ist zuversichtlich, dass zum Wechsel auch die rund 10 000 Amerikaner beitragen, die in Berlin leben. „Viele sind Autoren, Schauspieler, Künstler und waren lange Zeit unpolitisch“, sagt Gerber. „Aber jetzt haben sie die Nase voll und sind über den Krieg entsetzt.“ So hätte neulich sogar mal der Autor und vorübergehende Wahlberliner Jeffrey Eugenides („Middlesex“) bei einer Veranstaltung gesessen, die ein Kreis von Kerry-Unterstützern im Veranstaltungszelt Tipi organisiert hatte.

Gerber, der aus New York stammt und seit den 60er Jahren in Berlin und Köln als Journalist gearbeitet hat, engagiert sich seit langem politisch. Davon zeugen auch die vergilbten Poster von Che Guevara und linken Demonstrationen, die in der Kreuzberger Küche des dreifachen Großvaters hängen. Sein Wunschkandidat sei der nicht gerade als Linker aufgefallene Kerry nicht, gibt Gerber zu. Aber er sei nunmal der Einzige, der nach den US-Vorwahlen überhaupt eine Chance gegen Bush habe. Außerdem sei Kerry ein Internationalist, der an die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen glaube und den liberalen Teil der amerikanischen Bevölkerung repräsentiere.

Eine Vorhersage, was am 2. November in den USA passiert, mag der Berliner Wahlkämpfer aber nicht wagen: „Bush ist in der Krise, und wir sind zuversichtlich, dass er abgewählt wird – trotzdem kann ich kaum glauben, dass wir wirklich gewinnen.“ Vor allem republikanische Hochburgen in Bayern oder Heidelberg bereiten ihm Sorgen. Andererseits lässt zumindest der Zulauf bei dem wöchentlichen Stammtisch der Exildemokraten in einem Kreuzberger Lokal auf einen wachsenden Zuspruch für die Demokraten schließen. „Da kommen Pastoren und Lehrer, Journalisten, Übersetzer, Künstler, Hausfrauen und Geschäftsleute“, sagt Gerber. Der harte Kern von zehn Leuten sei in letzter Zeit schon mal auf 50 Besucher angewachsen. Ob das reicht? Da zitiert Gerber ironisch grinsend den einstigen Präsidentschaftskandidaten Adlai Stevenson. Dem habe einst ein Unterstützer zugerufen: „Die ganze denkende Bevölkerung steht hinter Ihnen!“ Da habe der Politiker geantwortet: „Das ist nicht genug – ich brauche die Mehrheit.“ Lars von Törne

Kontakt zu Democrats Abroad Berlin: William Downey, Tel. 711 1900. Wählerregistrierung Tel. 300 96195

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