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Berlin: Ein Buch dauert 90 Minuten

Fußballprofi Stefan Effenberg stellte seine Autobiografie „Ich hab’s allen gezeigt“ vor

Da sitzt er nun und guckt, wie er auch auf dem Fußballplatz immer geguckt hat: ein wenig verschlagen, ein wenig belustigt, ein wenig, als würde er sich fragen: Was mache ich eigentlich hier? So kennt man Stefan Effenberg von seinen Auftritten für Bayern München, Mönchengladbach oder Florenz. Der Fußballprofi ist hier, in der Buchhandlung Dussmann an der Friedrichstraße, um seine Autobiografie „Ich hab’s allen gezeigt“ vorzustellen. Die hat, obwohl noch nicht erschienen, bereits für viel Aufregung gesorgt, weil „Bild“ zugespitzte Passagen vorweg abgedruckt hat. 120 000 TrashLiebhaber haben das Buch für 19,90 Euro bereits vorbestellt, mindestens genau so viele Feuilletonisten haben es in Zeitungen verrissen. Seit gestern kann man es also kaufen – Zeit, sich der Sache mal völlig nüchtern und ironiefrei zu nähern.

Das denkt auch Effenberg und will gerade zu Erklärungen ansetzen, als ein korpulenter Mann die Worte „Tue Buße! Lies die Bibel! Es ist abscheulich, was du unseren Kindern vormachst!“ in den Raum wirft und danach abgeführt wird. „Ich hab die Bibel gelesen“, antwortet Effenberg trocken. Okay, es geht einfach nicht ohne Ironie.

Später erfährt man, was er noch so gelesen hat: „Kinderbücher, Dieter Bohlen – und Hitlers Tagebuch, das war interessant.“ Der Herr vom Verlag Rütten & Loening, in dem „Ich hab’s allen gezeigt“ erscheint, schaut verwundert. Hitlers Tagebuch?

Effenberg lässt sich nicht beirren und rät „jedem, mein Buch zu lesen. Die Vorabdrucke geben ein falsches Bild wieder.“ Er hat Recht. In weiten Teilen ist es eher langweilig als skandalös. Er schildert seine Zeit als Jugendspieler, wie er den Aufstieg schaffte und eine Menge Erlebnisse mit allerlei Irren, die ihn hin und wieder anpöbelten – in Sätzen, die selten mehr als zehn Wörter umfassen. Wer sich anstrengt, hat die 319 Seiten voller Großschrift und angeblich sexistischer Bilder mit seiner Freundin Claudia, die er seinem früheren Kollegen Thomas Strunz ausspannte, in 90 Minuten durch.

Effenberg geht mit der Kritik erstaunlich souverän um, auch damit, dass die Leute sich über das fehlende s beim „Real-Love-Never-Die“-Tattoo seiner Freundin kaputtlachen. „Jeder kann sagen, was er will – wir leben in einer Demokratie“, sagt er. „Ich stehe über diesen Dingen.“ Und zu jedem Satz, auch wenn er nicht schön sein mag. „Es ist meine Sprache, wir reden ja nicht wie Diplomaten.“ Das tun auch die 200 Fans nicht, die auf die Autogrammstunde warten.

Vorher kommt allerdings noch Frau Strunz und lässt sich fotografieren. Auch sie sorgt aber nicht dafür, dass das Gemurmel über Hitlers Tagebuch verstummt. Das lässt den Mann vom Verlag nicht in Ruhe. „Bitte keine Ironie mehr verwenden, Stefan, das kommt in Deutschland nicht so gut.“ Effenberg schaut ihn an, und jeder weiß, was dieser Blick sagt: Das war keine Ironie. chh

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