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Gar nicht zickig. Mitglieder des Teams der Erlebniswelt Jungfernheide mit Projektleiterin Roswitha Spanknebel-Betz (rechts).

© Kai-Uwe Heinrich

Weihnachts-Spendenaktion: Ein Herz für Dumbo und Otto

In der Erlebniswelt Jungfernheide pflegen Langzeitarbeitslose Ziegen und Kaninchen – und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Ein gemeinsamer Futterhausbau soll auch Flüchtlingen neue Perspektiven bieten.

Otto hat ja nun auch so seine amourösen Gefühle. Man muss das verstehen, er ist ja noch ein junger Kerl. Deshalb trägt er auch diese Schürze. Dass die ihm nicht am Körper klebt, sondern ziemlich schlabbrig an ihm herunterhängt, Gott, was soll’s? Otto stört das nicht. Er konzentriert sich jetzt aufs Fressen. Heute gibt es die Nadeln eines Tannenbaums.

Otto ist ein Ziegenbock, und er ist noch nicht kastriert. Und da Otto keinen Nachwuchs erzeugen soll, muss er diese Bockschürze tragen. Obwohl, im Gehege gäbe es durchaus noch Platz. Sie sind ja nur zu fünft zwischen den Holzzäunen, fünf Ziegen, die zufrieden Nadeln von Tannenbäumen abknabbern.

Ein paar Meter weiter, in einer großen Freiluftanlage mit Holzhäuschen, leben fünf Kaninchen, dann gibt es auch noch Hühner und irgendwo ein Bienenvolk.

Flüchtlinge und Einheimische kommen zusammen

Willkommen in der „Erlebniswelt Jungfernheide“. Willkommen bei einem Projekt, das Flüchtlinge und Einheimische zusammenführen will, das Langzeitarbeitslosen und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen berufliche Perspektiven bietet und das deshalb Spenden benötigt. Das Hilfeprojekt, ermöglicht vom Träger „abw – gemeinnützige Gesellschaft für Arbeit, Bildung und Wohnen mbH“, ist eines von 57 Vereinen, Projekten und Initiativen der Spendenaktion „Menschen helfen!“ des Tagesspiegel 2016/17. Unsere Leserinnen und Leser spenden erfahrungsgemäß auch nach Weihnachten und bis zur Spendenübergabe an die Empfänger zur Osterzeit immer noch weiter – dafür danken wir.

In der „Erlebniswelt Jungfernheide“ brauchen die Projektbetreuer Geld, weil es da auch noch diesen Verschlag gibt, mannhoch, windschief, die Stützbalken mit Plastikbahnen verbunden, ästhetisch unteres Niveau. Das ist das Futterhaus, hier liegt das Heu für die Tiere. Es soll ja nicht nass werden.

Erlebnisse mit Ziegen und Kaninchen

„Wir möchten ein neues Futterhaus bauen“, sagt Roswitha Spanknebel-Betz, die Projektleiterin der Erlebniswelt. „Und zwar mit unseren Teilnehmern und mit Menschen aus der nahe gelegenen Flüchtlingsunterkunft.“ Die Arbeit soll die Gruppen zusammenführen und Flüchtlinge aus ihrem ereignislosen Alltag reißen. Erlebniswelt mal anders. Ein Erlebnis in diesem Teil des Jungfernheideparks sind Ziegen, Kaninchen, Hühner und Bienen nicht bloß für die Kinder, die am Wochenende ins Gehege kommen, sie sind es vor allem für die elf Langzeitarbeitslosen, die hier die ganze Woche über den Betrieb am Laufen halten.

Die Erlebniswelt ist eigentlich ein kleiner Rettungsanker für Leute, die drogenabhängig sind, mit ihren Schulden nicht mehr klarkommen oder psychische Probleme haben. Für Leute, die schwer oder gar nicht ins normale Berufsleben zu vermitteln sind, sonst keinen strukturierten Tagesablauf kennen.

In einer Holzhütte auf dem Gelände sitzt die Projektleiterin an einem schweren Tisch, es ist angenehm warm, und Roswitha Spanknebel-Betz sagt: „Wenn die Menschen mit Tieren arbeiten, lernen sie, verantwortlich zu handeln. Tiere reagieren positiv, wenn man sich um sie kümmert.“ Sie müssen gefüttert werden, man muss Gehege und Käfige reinigen, Aufgaben für einen Fulltime-Job. „Wir arbeiten sieben Tage die Woche.“ Wir, das bedeutet elf Teilnehmer, also Arbeitslose, die einen neuen Sinn im Leben suchen, und drei sogenannte Anleiter. Die müssen den Neulingen ja erst mal deren Aufgaben erklären. Zwei dieser Anleiter sitzen mit am Tisch. Dorothee Walter, eingehüllt in einen blauen Winterpullover und einen Schal , ist sozialpädagogische Fachkraft und ausgebildete Gärtnerin. Sie hat eine Zusatzausbildung, sie kümmert sich deshalb auch noch um die Bienenvölker. Matthias Nötzel, gelernter Tischler, leitet die handwerklichen Arbeiten, er ist der entscheidende Mann beim Bau des Futterhauses. Auch Arbeitsschutzkleidung für die Menschen auf dem Gelände muss angeschafft werden.

Walter und Nötzel teilen die Arbeitslosen ein, je nach Neigung und Befähigung. „Wobei“, sagt Nötzel, „eigentlich jeder Käfige und Gehege reinigen können muss.“ Das sind die Basisaufgaben. Die Feinarbeit kommt am Wochenende, wenn Kinder und Eltern auftauchen. Aufpassen, dass die Tiere nicht gefüttert werden, aufpassen, dass die Kinder nicht den Tiere hinterherrennen, aufpassen, dass die Eltern ihre Kinder im richtigen Moment an der Hand halten, das ist die Feinarbeit.

Es sind Kleinigkeiten für Menschen, die ihren Alltag normal bewältigen, es sind anspruchsvolle Aufgaben für Leute, die ihren Alltag erst mal ordnen müssen. Es sind Schritte auf dem Weg zu einem Gefühl für Verantwortung.

Und darum geht es hier ja. „Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass viele dieser Menschen in relativ kurzer Zeit wieder in den ersten Arbeitsmarkt kommen“, sagt Dorothee Walter. „Es kann schon ein Erfolg sein, dass sie mal zur Drogen- oder zur Schuldnerberatung gehen.“ Es gibt auch Teilnehmer, die keine eigene Wohnung haben, die bei Freunden schlafen oder beim betreuten Wohnen versorgt werden. Alle Projektteilnehmer sind Hartz-IV-Empfänger, die meisten kommen übers Jobcenter, ein paar über den Bundesfreiwilligendienst.

Positive Entwicklungen

Und je länger sie da sind, desto deutlicher zeigt sich ihre positive Entwicklung. „Man merkt es an den Themen, die sie besprechen“, sagt Dorothee Walter. „Erst mal ist die Welt einfach nur schlecht. Dann aber sieht man immer stärker die positiven Dinge.“

Sie ist immer noch beeindruckt von jener Teilnehmerin, die an Silvester in der Hütte übernachtet hat. „Sie wollte die Tiere in so einer Nacht nicht allein lassen. Deshalb hat sie hier geschlafen.“ Und bevor sie schlief, bat sie alle, die neben dem Gehege Raketen zünden und Böller knallen lassen wollten, doch bitte 50 Meter weiter zu gehen. Die Tiere würden sich sonst zu sehr erschrecken.

Dietmar* ist einer der Teilnehmer. Ein 23-Jähriger mit Brille und schwarzer Mütze, seit Oktober 2016 hier. „Mir gefällt es sehr gut“, sagt er. Er füttert die Ziegen, er putzt die Ställe. „Am meisten Spaß macht es, die Hasen zu füttern.“ Sein Lieblingshase heißt Dumbo, der Hase, der ihm und den anderen am meisten Sorgen bereitete, Garfield. Er war so dünn. Aber sie haben ihn wieder hinbekommen. Ein Erfolgserlebnis, bedeutsam fürs Selbstwertgefühl.

Es geht um Selbstwertgefühl

Selbstwertgefühl, darum geht es auch bei den Flüchtlingen, die Roswitha Spanknebel-Betz einbinden möchte. Im Halemweg leben die Flüchtlinge. Mit zehn von ihnen möchte sie das Futterhaus bauen. Arbeit, Zusammengehörigkeitsgefühl, Integration, alles dabei. Ein Gewinn für jeden, so sehen Roswitha Spanknebel-Betz und ihr Team das.

Vielleicht ist Otto sogar kastriert, wenn das Futterhaus fertig ist. Dann hätte er endlich diese Schürze los. Aber noch schleift sie fast über den Boden.

* Name geändert

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