zum Hauptinhalt
Statt Plastiktüten einfach mal den Jutebeutel mitnehmen.

© picture alliance / dpa

Ein Jahr ohne: Diese Berliner verzichten auf Plastik, Fleisch und neue Kleidung

Ein Leben ohne Plastik, geht das überhaupt? Jan Korte wagt das Experiment. Er und andere Berliner versuchen, ein Jahr lang auf etwas zu verzichten – ob Fleisch oder neue Kleidung.

Mit mehr als 250 Millionen Tüten pro Jahr ist Berlin auch Deutschlands Plastiktüten-Hauptstadt. Was China, Italien und der US-Staat Kalifornien Berlin voraus haben, wünscht sich auch der Neuköllner Jan Korte: ein Plastiktütenverbot. Der 28-Jährige verzichtet seit Anfang des Jahres auf Plastik in seinem Leben. „Mich regen schon lange die Plastikstrudel im Pazifik auf“, sagt der Freiberufler.

In Kortes WG-Küche kommt der Müll daher nicht in eine Plastiktüte, sondern in Säcke aus Maisstärke. Zum Einkaufen nimmt er den Jutebeutel mit. „Viele Verkäufer muss ich richtig bremsen, mir eine Plastiktüte zu geben“, sagt Korte. Statt Plastik- nun nur noch Glasflaschen zu kaufen, ist dabei noch die leichteste Aufgabe im Alltag.

Jan Korte ist einer von 15 Berlinern, die 2014 im Rahmen des Projekts „Mein Jahr Ohne“ auf etwas in ihrem Leben verzichten, was vorher ein wichtiger Bestandteil des Alltags war. Sei es Plastik, Fleisch, neue Klamotten oder das Einkaufen neuer Gegenstände.

„Mein Jahr Ohne“ entstand in einer Mittagspause, in der ehemalige Mitarbeiter des Naturschutz-Bundes zusammensaßen. Irgendjemand erzählte von Nunu Kallers Buch „Ich kauf nix“, in dem die Autorin von ihrem einjährigen Verzicht auf neue Kleidung berichtet. Die Mittagsrunde war begeistert von der Idee, auch selbst aktiv zu werden. Und jeder suchte sich aus, worauf er oder sie ein Jahr verzichten wollte.

Ohne Bummeln ist sie nicht weniger glücklich

Mit am Tisch saß auch Kathrin Birkel. „Als wir das beschlossen haben, hatte ich sofort Glücksgefühle im Bauch“, erzählt die 34-Jährige. Sie hat seit Beginn des Jahres kein einziges Kleidungsstück mehr gekauft. „Und ich habe immer noch zu viel im Schrank“, sagt sie lachend. Noch vor einem Jahr surfte die Charlottenburgerin beinahe täglich auf Internetseiten von Versandhändlern herum – Shoppen als Beschäftigungstherapie, Birkels heimliches Hobby. Das erste Mal am Schaufenster vorbeigehen und nichts kaufen, das sei ihr noch schwergefallen. Doch schon nach wenigen Wochen merkte Birkel, dass sie ohne das ständige Bummeln, das ständige Suchen nicht weniger glücklich ist.

Gut verpackt. Jan Korte trifft man nur noch mit Stoffbeuteln und Mehrweggefäßen. Doch manche Dinge, wie Zahnpasta und Medikamente, gibt es gar nicht ohne Plastikverpackung.
Gut verpackt. Jan Korte trifft man nur noch mit Stoffbeuteln und Mehrweggefäßen. Doch manche Dinge, wie Zahnpasta und Medikamente, gibt es gar nicht ohne Plastikverpackung.

© Mike Wolff

„Es ist ja nicht so, dass bei mir jetzt Dürre im Schrank wäre“, sagt Birkel. Auf Kleidertauschpartys finden Sachen aus ihrem Kleiderschrank neue Besitzer und andersherum. Und Birkel hat angefangen, selbst Kleidung zu nähen. „Fürs Nähen kaufe ich auch keine neuen Stoffe. Ich nähe etwas Neues aus dem, was ich nicht mehr trage.“ Eine neue Hose war der erste Erfolg.

Kaputte Kleidungsstücke flickt Birkel oder passt bei altmodischen Sachen den Schnitt an. Statt kaputte Schuhe wegzuwerfen, lässt sie diese beim Schuster reparieren. Was nach viel Aufwand klingt, ist für Birkel eine Bereicherung. „Ich habe so viel schon gewonnen: mehr Zeit, weniger Druck und viel weniger Ausgaben für Klamotten.“

Eine Expeditionsreise mit viel Disziplin und Ausdauer

Jan Korte ist nicht immer von seinem Experiment überzeugt, denn ein Leben ohne Plastik ist in unserer Gesellschaft nicht einfach. Schon ein Einkauf im Supermarkt bringt Korte an seine Grenzen: Nudeln, Hirse und Reis gibt es in nicht unverpackt, sogar in Bioläden ist Gemüse oft in Plastik eingehüllt. An Toilettenpapier ist gar nicht erst zu denken. „Immer öfter frage ich mich, ob ich es bin, der sich ändern muss, oder das ganze Verpackungssystem“, sagt Korte.

Es gibt Alternativen, wie etwa der kürzlich in Kreuzberg eröffnete Laden „Original unverpackt“, in dem es keine Verpackungen gibt. Doch hier gibt es nicht das ganze Sortiment eines Supermarkts. Oder der Bioladen „Biosphäre“ in der Neuköllner Weserstraße, in dem Kunden durch Selbstabfüller ihre eigenen Behältnisse zur Verpackung mitbringen können. Doch vieles kann Korte nicht mehr kaufen. „Für mich ist das Projekt trotzdem kein Verzicht, sondern eine Expeditionsreise.“ Eine Reise, die viel Disziplin und Ausdauer fordert.

Und ganz klappt der Verzicht auf Plastik nicht. Zahnpasta, Toilettenpapier, Medikamente, Kosmetikartikel, all das gibt es nur in Plastikverpackung zu kaufen. „Mein Jahr Ohne ist für mich auch eine Geschichte des Scheiterns“, sagt Korte. Dann macht er Ausnahmen, weil es nicht anders geht. Am Anfang hätte Korte noch eine Zahnpasta aus der Apotheke ausprobiert – im Glas. Doch auf Dauer wäre diese Lösung einfach zu teuer geworden.

Auf der Internetseite meinjahrohne.de berichten die Teilnehmer von ihren Erlebnissen. Der Blog soll Dokumentation und Anregung für andere sein. „Die Gemeinschaft wirkt wie eine soziale Kontrolle“, sagt Kathrin Birkel. „Noch hat keiner aufgegeben.“ Im neuen Jahr möchte sie dann allerdings wieder Kleidung kaufen. Aber ab jetzt möchte sie mehr darauf achten, was sie kauft. Korte hingegen denkt darüber nach, dauerhaft auf Plastik zu verzichten. „Aber nur da, wo es nicht zu aufwendig ist.“

Den Blog finden Sie online unter: meinjahrohne.de. Den Blog von Nunu Kallers gibt’s unter: ichkaufnix.wordpress.com

Katharina Fiedler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false