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Berlin: Ein Leben lang dieselbe Adresse

Christel Böhnke kam 1930 in Siemensstadt zur Welt – und zog niemals weg

So lange wie Christel Böhnke wohnt niemand in der Reformsiedlung Siemensstadt. Sie wurde hier geboren, in der 2,5-Zimmer-Wohnung ihrer Eltern, die 1930 in den Jungfernheideweg gezogen sind. Da war die Siedlung gerade fertig.

80 Mark kostete die Miete damals, heute sind es 500 Euro, früher kannte Christel Böhnke hier jeden, inzwischen sind viele weggezogen, früher war hier alles schön gepflegt, das ist auch vorbei. Am heutigen Dienstag, genau 75 Jahre nach Baubeginn, wird die Siedlung, die einst als exemplarisch für das Neue Bauen galt, mit einem Empfang in den Räumen der GSW gefeiert. Mit Mieterbeirat, langjährigen Mietern und ein paar Kommunalpolitikern. Gleichzeitig wurde ein Architekturspaziergang durch die denkmalgeschützte Siedlung vorgestellt. An zehn markanten Standorten informieren Schautafeln über deren Geschichte und die Architekten – Otto Bartning, Walter Gropius und Hans Scharoun, der selbst lange Zeit am Heilmannring lebte.

Christel Böhnke kann dabei nicht mehr so viel Neues erfahren. Ihre Wohnung sei damals der reine Luxus gewesen, sagt sie: Teppichboden im Treppenhaus, Zentralheizung und Warmwasser aus dem nahen Wasch- und Heizhaus an der Goebelstraße. Für die Miete ging das gesamte Gehalt von Vater Gustav drauf, der als Kellner im Siemens-Kasino arbeitete. Mutter Anna ging putzen, gelebt hat die Familie von den Trinkgeldern. Dann kam der Krieg und mit ihm harte Jahre. Die Siemensstädter, die genau auf der Grenzen von zwei Bezirken wohnten, erlebten eine kuriose Bürokratie: Ihre Häuser waren in Charlottenburg, die Geschäfte befanden sich gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite, aber damit bereits auf Spandauer Boden – und Lebensmittelkarten durften nur im Wohnbezirk eingelöst werden, wie Christel Böhnke sich erinnert. Um ihren Stammkunden weite Wege zu ersparen, hätten die Fleischer und Lebensmittelhändler deshalb neue Filialen auf der anderen, der richtigen Straßenseite eröffnet.

Als Christel Böhnke 1951 ihren Erich heiratete, war Geld knapp. So zog der Finanzbeamte mit in die Wohnung der Familie seiner Frau. Und so wie Christel Böhnke einmal in der Wohnung ihrer Eltern auf der Welt, kam auch ihre Tochter wieder in Siemensstadt zur Welt. Seit deren Auszug und dem Tod der Eltern leben die Eheleute allein in der heute von der GSW verwalteten Wohnanlage. „Wir haben ein schönes Leben hier gehabt“, sagt die 74-Jährige. „Wir haben klein angefangen und konnten uns doch allerhand leisten.“

Rainer W. During

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