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Berlin: Ein Lichtblick für Häftlinge: Knastzeitung wird 40 Jahre alt

1968 berichteten Gefangene der JVA Tegel zum ersten Mal über ihren Alltag Die Anstaltsleitung unterstützt die Arbeit und gibt der Redaktion Privilegien

Von Sabine Beikler

Nikotingelb – so nennen Gefangene die fantasielose „Normfarbe“ der Zellenwände. Damit ihr Arbeitsumfeld wenigstens etwas angenehmer aussieht, haben Andreas Werner und Mike Moses den Anstrich durch Wisch- und Tupftechnik aufpeppen lassen. Die beiden Gefangenen arbeiten täglich hinter dem Eingang der Zellennummer 32 im Haus III der Justizvollzugsanstalt Tegel in zirka 20 Quadratmeter großen Räumen. Sie schreiben, layouten, redigieren, recherchieren – sie sind die Redaktion der Gefangenenzeitung Lichtblick. Diese Zeitung ist bundesweit einmalig: Seit 40 Jahren ist sie die größte und einzige unzensierte Gefangenenzeitung in Deutschland. Die Redaktion berichtet kritisch über den Knastalltag, Gerichtsurteile, Strafvollzug, Resozialisierung, die Gesundheitsversorgung der Gefangenen oder über das „unverändert schlechte Essen“, sagen die beiden Redakteure. Doch ausgerechnet zum 40-jährigen Jubiläum kann die 377. Ausgabe nicht pünktlich am 25. Oktober erscheinen. Die Redakteure fanden so schnell keinen Ersatz für den vor kurzem aus gesundheitlichen Gründen ausgefallenen Drucker, der die einen Stock tiefer stehende Heidelberger Offset-Druckmaschine mit vier Platten bedienen könnte.

Die Anstaltsleitung bekommt das Blatt erst zu sehen, wenn es gedruckt ist. „Wir arbeiten völlig unabhängig, unterliegen dem Presserecht und sichern natürlich auch Informantenschutz“, sagen Werner und Moses, der neben der Redaktion auch einen mystischen Thriller „Die Offenbarung“ geschrieben hat.

Die Redakteure bleiben beharrlich an Geschichten dran: Im vergangenen Jahr berichtete der Lichtblick über einen psychisch kranken Häftling, der seit 20 Jahren ohne ausreichende therapeutische Betreuung in Tegel saß. Daraufhin hatte sich die Anstaltsleitung bei der Redaktion gemeldet und sich der Sache angenommen: Heute ist der Gefangene im Maßregelvollzug und „happy, weil er dort gut betreut ist“, sagt die Redaktion.

Die Lichtblick-Redakteure verstehen sich als „Ventil für viele Gefangene“. Sie können die Redakteure aufsuchen oder um ihren Besuch bitten. Die Redakteure haben nämlich ein sehr großes Privileg, das ihnen die Anstalt gewährt: Sie können sich mit ihrem „Läuferausweis“ ohne Aufsicht bewegen und Gefangene in den einzelnen Häusern aufsuchen. „Mit der Lichtblick-Redaktion pflegen wir einen vertrauensvollen Umgang. Und sie sind sich dessen bewusst, dass sie Freiheiten haben, mit denen sie vertrauensvoll umgehen müssen“, sagt Lars Hoffmann, Leiter der sozialpädagogischen Abteilung und zuständig für den Lichtblick.

Die Redakteure bekommen rund 13 Euro pro Tag – die höchste Gehaltsstufe im Gefängnis. Deren Arbeit ist in den Augen der Anstaltsleitung sehr anspruchsvoll. „Für viele Gefangene ist der Lichtblick die Möglichkeit, nach außen zu kommunizieren“, sagt Hoffmann. Die Zeitung hat eine Auflage von 5500 Exemplaren. Das Gros geht an Gefangene, etwa 2000 an Abonnenten. Das Land Berlin subventioniert den Lichtblick mit einem jährlichen Zuschuss von 5000 Euro. Das würde aber nur für vier Schwarz-Weiß- Ausgaben statt der sechs Farbausgaben im Jahr reichen. Deshalb ist die Redaktion auf Spenden angewiesen.

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