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Berlin: Eine Frage der Ehrenrunde

Teuer und kontraproduktiv: Experten raten davon ab, schlechte Schüler eine Klasse wiederholen zu lassen. Pro und Contra: Soll das Sitzenbleiben abgeschafft werden?

Von Susanne ViethEntus

Wer vor zwei Jahren glaubte, die Pisa-Empörung werde schnell verebben, wird nahezu täglich eines Besseren belehrt: Alle Probleme, die von den Wissenschaftlern benannt worden waren, kommen nach und nach auf den Tisch. Die neueste Fortsetzung der Bildungsdiskussion dreht sich um das Thema „Sitzenbleiben“.

Nachdem die Pisa-Forscher den Nutzen der Wiederholung von Klassenstufen in Frage gestellt haben, will die PDS, dass das Sitzenbleiben mit dem neuen Schulgesetz abgeschafft wird. Der Entwurf, der am 11. September ins Parlament kommt, sieht eine solche Änderung jedoch bislang nicht vor. Deshalb drängt die PDS jetzt auf Nachbesserung.

Und damit könnte sie Erfolg haben, denn sie bekommt von vielen Seiten Beifall. Ob FDP oder Grüne, ob Landeselternausschuss oder GEW – überall ist die Botschaft der Pisa-Wissenschaftler angekommen: Demnach profitieren die meisten „Sitzenbleiber“ nicht vom Wiederholen der Klasse, sondern gehören nach ein bis zwei Jahren wiederum zu den Schlusslichtern.

Allerdings gibt es auch Stimmen, die das Sitzenbleiben beibehalten wollen. Die SPD- Schulpolitikerin Felicitas Tesch sagt zwar, dass potenziellen Sitzenbleibern mehr damit gedient sei, sie frühzeitig zu fördern. Aber wenn ein Schüler auch dann nicht das Klassenziel erreicht, geht für Tesch kein Weg am Sitzenbleiben vorbei. „Daran wird sich auch mit dem neuen Schulgesetz nichts ändern“, sagt Tesch. Gerhard Schmid, bildungspolitischer Sprecher der CDU und zugleich Leitender Schulrat von Friedrichshain-Kreuzberg, warnt vor „Reformhektik“: Bevor das Sitzenbleiben abgeschafft werde, müsse man „konkret die Ursachen analysieren“.

Auch auf Lehrerseite gibt es Bedenken dagegen, auf dieses Instrument zu verzichten. „Bei über 30 Kindern in der Klasse kann man nicht alle Schwachen so gut fördern, dass das Sitzenbleiben überflüssig wird“, sagt Brigitte Wilhelm, Vorsitzende des Landeslehrerausschusses. Sie wünscht sich, dass es entweder kleinere Klassen gibt oder zusätzliche Lehrer, die regelmäßigen Förderunterricht geben könnten. Der Erziehungswissenschaftler und FU-Präsident Dieter Lenzen schlägt vor, die geplanten Schulassistenten hierfür einzusetzen. Auch er lehnt das Sitzenbleiben ab.

Bei den Eltern sind die Meinungen geteilt. Während der Landeselternausschuss sich intensiv mit der Pisa-Studie befasst hat und damit übereinstimmend keinen positiven Nutzen beim Sitzenbleiben erkennen kann, möchten viele andere Eltern die Dinge so lassen, wie sie sind: „Die schlechten Schüler blockieren den Rest der Klasse“ – diese Befürchtung ist weit verbreitet. Zudem weisen diese Eltern darauf hin, dass schon bisher zu viele Kinder „mitgeschleppt“ werden, weil sie selbst bei drei Fünfen noch versetzt werden können, wenn sie einen überzeugenden Ausgleich in anderen Fächern haben.

Um überhaupt erst mal zu erfahren, wie Schulen ohne das obligatorische Klassen-Wiederholen zurechtkommen, würden die Grünen gern einen Modellversuch starten. Ein entsprechender parlamentarischer Anfrage fand bisher aber keine Mehrheit.

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