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Schulleiterin Sibylle Stottmeyer vor der Wolfgang Amadeus Mozart-Gemeinschaftsschule in Hellersdorf.

© imago stock&people

Mozart-Schule in Hellersdorf: Eine für Starke und Schwache - eine für alle!

Plötzlich Gemeinschaftsschule: Die Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule in Hellersdorf wagt das Experiment. Das Ziel: Mehr Teamfähigkeit, weniger Konkurrenzdenken.

Rektorin Sibylle Stottmeyer ist keine Frau, die zu Lobeshymnen in eigener Sache neigt. Die Wolfgang-Amadeus-Mozart- Grundschule sei eine ganz normale Schule mit ganz normalem Klima, sagt sie. Dass das ziemlich untertrieben ist, wird schon klar, wenn man morgens um halb acht mitten im frohen Begrüßungsgewusel auf dem Schulhof steht.

Der Ton ist vertraut, Neckereien und Kommandos sind liebevoll ironisch – hier geht was zwischen Schülern und Lehrern. Und dann ist da noch diese spezielle Aufbruchstimmung im grauen Betonkasten in der Cottbusser Straße. Seit dem 1. September ist die Hellersdorfer Schule eine von elf frisch gebackenen Berliner Gemeinschaftsschulen, die jetzt in die Pilotphase starten. Das heißt, zu den bisherigen ersten bis sechsten Klassen kommen erstmals zwei siebte Klassen, die gemeinsam bis zur zehnten Klasse hochwachsen werden.

Los ging es zu Schuljahresbeginn mit einem Hoffest. Es kamen auch Polizisten, Feuerwehrleute und Sportler von TuS Hellersdorf. Partner aus dem Kiez, mit denen die Schule künftig noch stärker zusammenarbeiten will. „Der Sportverein schickt mir zum Beispiel für Wahlpflichtstunden seine Trainer vorbei“, sagt Schulleiterin Stottmeyer, 49. Die erste Unterrichtswoche sei bei den Gemeinschaftsschülern „gut angekommen“. Gelernt haben sie zunächst einmal das Lernen selbst: dass sich beispielsweise Texte besser einprägen, wenn man beim Lesen die Finger zur Hilfe nimmt.

„Eine Schule für alle“, nennt Stottmeyer den Verzicht auf das Unterteilen der Kinder in Haupt-, Real- und Gymnasialschüler. Zusammen mit 27 Lehrerkollegen und 15 Erzieherinnen glaubt sie an die neue Schulform, die sie gegen Widerstände und Desinteresse von Eltern oder benachbarten Oberschulen durchgesetzt hat. Was sie sich von der Gemeinschaftsschule erhofft? „Kinder aufzufangen, ihnen ein Stück Heimat zu geben.“ Von der ersten bis zur zehnten Klasse im fest gefügten Sozialverband groß zu werden, stifte Identität, meint Stottmeyer. „Und Spätentwickler, die in der sechsten Klasse noch nicht wissen, was sie wollen, kann man so doch noch zum Abitur führen.“ Außerdem habe sie oft erlebt, dass Schüler aus schwierigen Elternhäusern nach dem verordneten Schulwechsel absackten und in Einzelfällen sogar kriminell würden.

Davon erzählt auch Sportlehrer Dirk Hinz, 43, an dem die Schüler, wenn er auf den Gängen unterwegs ist, gleich traubenweise hängen. „Wir haben hier wenig Gewalt, aber durchaus verhaltensauffällige Kinder. Die haben zu Hause oft mit wechselnden Lebenspartnern von Mutter oder Vater zu tun und wir Lehrer sind ihre einzige feste Größe.“ Sanierte Platte in bunten Würfeln, ein hoher Himmel darüber, dazwischen gepflegtes Grün – am nahe gelegenen Hellersdorfer U-Bahnhof Cottbusser Platz sieht Berlin luftig und menschenleer aus. Und die leer stehenden Läden in der abgeschabten Ex-Kaufhallenzeile verraten, dass die Großwohnsiedlung ihr Nachwendeziel, nicht nur ein guter Platz zum Wohnen, sondern auch zum Arbeiten und Leben zu sein, noch nicht erreicht hat.

Die Wolfgang-Amadeus-Mozart-Gemeinschaftsschule ist da schon weiter. Der quirlige Hortbetrieb für die Klassen eins bis vier geht von sechs Uhr früh bis 18 Uhr abends, Unterrichtszeit ist von 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr, und viele Musikangebote für die Kids laufen auch nachmittags weiter. Gegründet wurde die Schule 1989 im Gebäude der polytechnischen Oberschule. Und seit 1992 trägt die erste musikbetonte Grundschule in Ostberlin den Namen des Salzburger Jahrhundertkomponisten Mozart. Mehr als 200 der 474 Schüler spielen im Orchester oder in der Schulband, singen im Chor und lernen ein Instrument. Kein Wunder, dass so viele Gitarrenkoffer über den Schulhof wandern.

Die Aula ist vollgestopft mit Instrumenten und Bühnenkulissen. Die stammen noch vom Schulkonzert im Freizeitforum Marzahn vor den Sommerferien. Das ist jedes Jahr der musikalische Höhepunkt. „Ich freu' mich über den größeren Gemeinschaftsschulchor“, sagt Musiklehrerin Annette Kindervater, 43, die gerade mit einer coolen Mädchenband probt. Für die Fachbereichsleiterin bildet die Musikbetonung eine Einheit mit der neuen Schulform. Hinter beidem stecke dieselbe Idee: teamfähiger zu werden, soziale Kompetenz zu stärken, miteinander statt konkurrierend zu lernen, Starke und Schwache zusammen zu fördern.

An Letzteres glaubten vor den Ferien längst nicht alle Schüler oder Eltern. So wie Klara, 12, aus der Sechsten, die erst bleiben wollte, aber den Schulwechsel aufs Tagore-Gymnasium dann doch interessanter fand: „Du bist ein kluger Kopf, haben meine Eltern gesagt. Warum willst du da bleiben, wo weniger kluge unterrichtet werden?“ Und ihr Klassenkamerad Felix meinte, er wolle Manager werden und lerne am besten unter dem Druck und den Anforderungen eines Gymnasiums. Tatsächlich sind die meisten Kinder mit Gymnasialempfehlung gegangen. Eltern für die Idee der Gemeinschaftsschule zu gewinnen, sei ein harter Kampf, sagt Sibylle Stottmeyer. „Wir müssen uns erst mal beweisen und wir werden nie alle halten“ – trotz attraktiver Wahlpflichtfächer wie Musik, berufsorientierter Arbeitslehre oder Kraftsport und engagierten, eigens für den nach Leistungsniveau differenzierten Unterricht fortgebildeten Lehrerinnen und Lehrern.

Auf der anderen Seite zieht das nicht mehr auf das direkte Einzugsgebiet festgelegte Gemeinschaftsschulprojekt auch neue Kinder an. Ganz naheliegend, weil frustrierendes Sitzenbleiben nicht möglich ist und jedes Kind den Mittleren Schulabschluss erreichen kann. Marco Prater schickt seinen aufgeweckten Sohn Moritz, der gerade eine Klasse übersprungen hat und nun in die dritte geht, aus vier Gründen auf die Wolfgang-Amadeus-Mozart-Schule: freundliches Schulklima, kompetentes Kollegium, Musikbetonung und Gemeinschaftsschule. Wieso Letzteres? Weil Moritz hier alle Möglichkeiten habe, sagt Prater: zur fünften Klasse als Schnellläufer aufs Gymnasium zu wechseln, regulär zur siebten, oder nach der zehnten Klasse mit der Möglichkeit auf dem kooperierenden Max-Reinhardt-Gymnasium Abitur nach zwei oder drei Jahren zu machen. Gerade Jungs merkten manchmal erst in der achten Klasse, was sie wollten .

Die Zusammenarbeit mit der benachbarten Volkshochschule macht die Wolfgang-Amadeus-Gemeinschaftsschule zusätzlich für Gymnasialkinder interessant. In Arbeitsgemeinschaften können die Schüler Chinesisch, Italienisch, Spanisch, Informatik, Rhetorik, Psychologie oder Freies Schreiben lernen.

2012 werden Visionäre, Skeptiker, Kinder, Eltern und Lehrer in Hellersdorf und ganz Berlin wissen, wie die Pilotphase Gemeinschaftsschule gelaufen ist. Was, wenn das Konzept der „Schule für alle“ scheitert? Sibylle Stottmeyer lacht: „Dann machen wir wieder Grundschule.“ Nein, ernsthaft rechnet sie nicht damit. Im Gegenteil. „Es wird viel mehr Schulen wie diese geben.“

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