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Berlin: Eine Treppe in St. Matthäus soll in die Vergangenheit führen

Wer gräbt, findet meistens etwas. Erinnerungen zum Beispiel.

Wer gräbt, findet meistens etwas. Erinnerungen zum Beispiel. Seit ein paar Monaten lässt der israelische Künstler Micha Ullman ein Stück des Bodens in der Kirche St. Matthäus auf dem Kulturforum aufgraben. Gefunden hat er Trümmer der originalen Kirche, die 1945 zerstört und später äußerlich rekonstruiert wurde. Der Schutt verweist darauf, dass hier einmal eines der begehrtesten bürgerlichen Stadtviertel Berlins stand. Hier wohnten auch viele jüdische Familien und viele Intellektuelle. Bislang erinnert keine Gedenktafel an die Geschichte des Viertels.

Von Micha Ullman, Mitglied der Berliner Akademie der Künste, stammt in Berlin unter anderem das unterirdische Mahnmal „Bibliothek“, das an die nationalsozialistische Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz 1933 erinnert. Seit ein paar Monaten arbeitet er an der neuen Bodenskulptur „Stufen“ im Seitenschiff von St. Matthäus, Ende November soll das Kunstwerk der Öffentlichkeit übergeben werden. 200 000 Euro kostet die Skulptur. Nach Auskunft der evangelischen Kirche kommt das Geld ausschließlich von privaten Spendern.

Bislang ist nur ein zwei Meter langes, ein Meter breites und zwei Meter tiefes Loch zu sehen, mit viel märkischem Sand. Sieben Stufen sollen einmal in die Tiefe führen, als oben offene Kästen geformt und gefüllt mit rotem Sand aus Israel. Der Betrachter schaut von einer begehbaren Glasplatte aus auf die unterirdische Treppe. Das Glas soll die Kirchenwände, den Betrachter und die Kirchenfenster spiegeln – und durch die Fenster hindurch die Wolkenbewegungen und manchmal auch den Mond. „Die Treppenstufen sind eine Einladung, nach unten oder nach oben zu gehen mit Hilfe der Fantasie“, beschreibt es Micha Ullman.

Der evangelische Bischof Markus Dröge, Christhard-Georg Neubert, Direktor der Kulturstiftung St. Matthäus, und Kulturstaatssekretär André Schmitz sehen in der Skulptur auch „ein Zeichen der Versöhnung von Christen und Juden“ nach der Shoah. Die evangelische Kulturstiftung hatte Ullman eingeladen, mit einem künstlerischen Zeichen den Dialog zwischen Christen und Juden stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

„Indem Micha Ullman den Kirchenboden öffnet, schafft er Raum für das Tiefe, Abgründige, Schmerzliche“, sagte Christhard-Georg Neubert am Dienstag bei der Vorstellung der Pläne. Zu den schmerzlichsten Erinnerungen der evangelischen Kirche gehöre die Tatsache, dass die christliche Theologie erst nach der Shoa den Traditionen des christlichen Antijudaismus nachgegangen sei, sagte Bischof Markus Dröge.

In St. Matthäus wurde 1931 der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer zum Pfarrer ordiniert. Er wehrte sich früh gegen die Entrechtung der Juden. Von ihm stammt der Satz: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Er blieb in der Minderheit.

Am Eingang der Philharmonie gegenüber von St. Matthäus soll bald ein weiterer Erinnerungsort entstehen. Dort will man der „Aktion T4“ gedenken, der Euthanasiemorde der Nazis, die an dieser Stelle, in einer Behörde in der Tiergartenstraße 4, geplant wurden. Nach Auskunft von André Schmitz hat der Senat gerade die Unterlagen für einen Ideenwettbewerb verschickt. Damit soll die dort in den Boden eingelassene Gedenkplatte ergänzt werden. Und würde es nach Schmitz gehen, müsste das recht unwirtliche Areal ohnehin komplett umgestaltet werden: „Über die Zukunft des Kulturforums ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Claudia Keller

Claudia Keller

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