zum Hauptinhalt
Brennende Kerzen stehen um den Sarg von Grünen-Politiker Wolfgang Wieland während der Trauerfeier in der Berliner Passionskirche.

© dpa/Annette Riedl

„Einer, an dem man nicht vorbeikam“: Trauerfeier in Berlin für Grünen-Politiker Wolfgang Wieland

Der Strafverteidiger und frühere Berliner Abgeordnete Wolfgang Wieland war Anfang Dezember gestorben. Bei der anrührenden Trauerfeier trafen sich Weggefährten aus vielen Jahrzehnten.

| Update:

Das große Foto vor dem Altar zeigte Wolfgang Wieland, wie ihn die Öffentlichkeit nicht kannte, in heiterer Urlaubsstimmung vor blauem Meer, wohl auf einem Boot: Ein privater Einblick in das Leben des Grünen-Politikers und Rechtsanwalts, der aber zur Trauerfeier passte, die von der Familie und langjährigen Weggefährten gestaltet wurde. Die politische Prominenz hielt sich zurück, obwohl viele zu sehen waren: Cem Özdemir, Renate Künast, Jürgen Trittin und Walter Momper waren neben vielen anderen gekommen, und die große Kreuzberger Passionskirche füllte sich bis auf den letzten Platz.

Die Liturgie der Feier war knapp, die Familie hatte sich Gedichte von Rilke und Ingeborg Bachmann gewünscht, die „Otto-Sinfoniker“ spielten. Wielands Frau Sabine, seine beiden Töchter und die drei Enkel entzündeten Kerzen und trugen berührende persönliche Erinnerungen an den Verstorbenen vor. Wieland sei kein typischer Kirchgänger gewesen, sagte der ehemalige Kreuzberger Gemeindepfarrer Jörg Machel, der mit ihm jahrzehntelang befreundet war und den Gottesdienst abhielt – aber er sei einer gewesen, „an dem man nicht vorbeikam, wenn man Kirche im Kiez aufbauen wollte“.

Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Deutschen Bundestages, nahm an der Trauerfeier von Grünen-Politiker Wolfgang Wieland in der Passionskirche teil.
Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Deutschen Bundestages, nahm an der Trauerfeier von Grünen-Politiker Wolfgang Wieland in der Passionskirche teil.

© dpa/Annette Riedl

Wer auf das Leben Wielands zurückschaue, der sehe „einen so unglaublichen Reichtum, solche Vielfalt, Herzlichkeit und Leidenschaft“, dass wohl jeder vor der Aufgabe kapitulieren müsse, „das auch nur ansatzweise überblicken zu können“, sagte Machel, der ihn noch wenige Tage vor seinem Tod am 5. Dezember im Hospiz besucht hatte. Er erinnerte an gemeinsame Straßenfeste, an den Kampf um einen friedlichen 1. Mai in Kreuzberg, bei dem beide vor Tränengasschwaden davonliefen – und wie Wieland durchsetzte, dass er als Pfarrer im Untersuchungsausschuss zu den Maikrawallen 1987 reden durfte: „So wohlwollend Wolfgang Schutzbedürftigen begegnete, so treffgenau konnte er die Arroganz der Macht vorführen und entlarven.“

Auch Cem Özdemir (M, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, kam zur Trauerfeier.
Auch Cem Özdemir (M, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, kam zur Trauerfeier.

© dpa/Annette Riedl

Im Anschluss an den kirchlichen Teil der Trauerfeier kamen Weggefährten zu Wort wie Anwalt Hajo Ehrig, der weit zurückgriff, als er sich erinnerte, wie er Wieland und dessen spätere Frau 1970 in der „roten Zelle Jura“ an der FU kennengelernt hatte. Er löste sogar eine gewisse Heiterkeit aus, als er berichtete, wie beide eine kurze Phase beim maoistischen Studentenverband „KSV“ durchliefen, bevor sie als Berufsanfänger und mit bescheidensten Mitteln eine eigene Kanzlei gründeten. Die autoritären Denkmuster der Polizei prallten mit den neuartigen Protestformen zusammen und verschafften sachkundigen Anwälten reichlich Arbeit: „Wir agierten in Prozessen, die wir politische Prozesse nannten.“

Zweifellos politisch war auch der Mykonos-Prozess, in dem Wieland nach vier Jahren Arbeit die Verantwortung des iranischen Staats für die Morde im Berliner Restaurant Mykonos nachweisen konnte, „trotz seiner gleichzeitigen Belastung als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus“, wie Ehrig sagte. Und politisch war auch der Fall Cemal Altun: Der von Wieland vertretene türkische Asylbewerber stürzte sich 1983 aus einem Fenster des Verwaltungsgerichts, weil er die Hoffnung auf Schutz gegen Abschiebung verloren hatte.

An die Wendezeit und das Zusammengehen von West-Grünen und Bündnis 90 (Ost) erinnerte Marianne Birthler, die spätere Beauftragte für die Stasi-Unterlagen. Im wachen politischen Berlin sei Wieland schon damals fast jedem bekannt gewesen und über Parteigrenzen hinaus geschätzt gewesen. Sie zitierte Beispiele für dessen rhetorische Fertigkeiten aus Parlamentsprotokollen, betonte aber, bei aller Spottlust und Ironie sei immer Respekt für das Gegenüber zu spüren gewesen.

Auch wenn es um den Osten ging, sei Wieland als Brückenbauer aufgetreten, sagte Birthler, als einer, der zuhören und verstehen konnte. Doch er habe nicht nur Menschen zum Lachen gebracht, sondern auch ganz und gar ernst und leidenschaftlich seine Position dargelegt wie in seiner letzten Bundestagsrede 2013 als Berichterstatter des NSU-Untersuchungsausschusses.

Wieland war 1978 einer der Mitgründer der Alternativen Liste in Berlin, später Bündnis 90/Die Grünen. Im Berliner Abgeordnetenhaus saß er von 1987 bis 1989 und von 1990 bis 2004, war mehrfach Fraktionsvorsitzender und um die Jahrtausendwende kurze Zeit Justizsenator.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false