zum Hauptinhalt

Berlin: Einer, der sich sicher war

„Wer bin ich“, fragte Dietrich Bonhoeffer in einem Gedicht 1944. „Sie sagen mir, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.

„Wer bin ich“, fragte Dietrich Bonhoeffer in einem Gedicht 1944. „Sie sagen mir, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist. Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß? Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig?“ Der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer schrieb die Zeilen im NS-Militärgefängnis Tegel. Ein dreiviertel Jahr später, am 9. April 1945, ermordeten ihn die Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg, weil er zum Kreis der Verschwörer gehörte, die das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 planten. Am Sonnabend wäre Dietrich Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden.

Die existenziellen Fragen, die sich Bonhoeffer in der Gefängniszelle stellte, hallten gestern beim Festgottesdienst zu seinem Geburtstag durch die Kirche St. Matthäus am Kulturforum. Der Schauspieler Otto Sander trug sie vor und schickte mit seiner rauen Stimme den Zuhörern eine Gänsehaut über den Rücken. Aber nur kurz, dann gleiteten seine Worte in die sachte ansetzenden Klänge der Jazzband.

Für Pfarrer Bischof Wolfgang Huber ist Bonhoeffer trotz aller Zweifel, die ihn umtrieben, ein „protestantischer Heiliger“ geworden – durch die Art, wie er lebte, durch seinen Einspruch gegen die Judenverfolgung, durch seinen Widerstand gegen das Nazi-Regime. „Von ihm können wir lernen, was Glauben bedeutet: für andere da sein und Verantwortung übernehmen.“ Dass zu glauben mehr ist als eine fromme Regung, erlebte Bonhoeffer zum ersten Mal eindrucksvoll in Harlem in New York, wo er als 24-Jähriger ein Jahr lang „mitten unter den Negern wohnte“. Hier lernte er Gläubige kennen, die sich kümmerten.

Immer wieder interessierte sich Bonhoeffer dafür, was Protestanten außerhalb Deutschlands dachten, von 1933 bis 1935 lebte er in London. Deshalb ist zum Geburtstag des Erzbischofs von Canterbury, Rowan Williams, angereist und hielt die Predigt. „Steht auf und fürchtet euch nicht“, rief er den vielen hundert Besuchern zu. Wenn man Jesus dort suche, wo er ist, unter den Menschen, passiere einem nichts. „Gott ist mit denen, die mit sich ringen.“

Dietrich Bonhoeffer, der große, sportliche Mann aus dem großbürgerlichen Elternhaus in Grunewald, saß aber nicht nur da und grübelte und dachte über schwere Probleme nach. Er feierte gerne, liebte gutes Essen, machte Musik. Auch diese lebenslustige Seite kam im Gottesdienst zum Ausdruck, zum Beispiel, als die schwarze Gospelsängerin Felicia Taylor die Zuhörer dazu brachte, dass viele im Takt klatschten und sich im Rhythmus wiegten.

Beim Rausgehen blieben viele einen Moment vor der Bronzetafel am Eingang der Kirche stehen. Der Künstler Johannes Grützke hat sie entworfen. Seit Donnerstag erinnert sie daran, dass Bonhoeffer 1931 hier ordiniert wurde. Neben einer Inschrift tritt Bonhoeffers Gesicht plastisch aus der Bronze hervor. Es blickt entschieden. „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott“, hat er geschrieben. Darin war er sich ganz sicher.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false