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Berlin: Einkaufen ohne den Blick auf die Uhr

Der Senat will den Ladenschluss aufheben. Einheitliche Öffnungszeiten wird es nicht geben. Die Händler entscheiden je nach Standort. Pro und Contra

Wahrscheinlich schon vor Weihnachten wird die Einkaufsfreiheit in Berlin fast grenzenlos: Der Senat will den Ladenschluss abschaffen – außer am Sonntag, den er weiter mit Rücksicht auf Familien und die Kirchen schützen möchte. Sonntags soll es bei wenigen Ausnahmen pro Jahr bleiben. Durch die Föderalismusreform ging die Zuständigkeit für den Ladenschluss gerade vom Bund auf die Länder über. Die Entscheidung des Abgeordnetenhauses wird für den Herbst erwartet.

Trotzdem verkauft auch künftig wohl niemand rund um die Uhr. „Ich bin überzeugt, dass sich unterm Strich gar nicht viel ändert“, sagt Nils Busch-Petersen vom Handelsverband. „Nach 22 Uhr ist eh Totentanz.“ Weltweit zeige sich, dass in Staaten ohne Ladenschluss die Geschäfte sogar „in der Regel kürzere Öffnungszeiten haben“. Wichtig sei aber die Flexibilität: Künftig könnten Händler unbürokratisch länger verkaufen, wenn dies zum Beispiel wegen Großveranstaltungen in Berlin lohnenswert scheine. Und Einkaufspartys wie die „Lange Nacht des Shoppings“ in der City-West bräuchten keine Sondergenehmigung mehr.

Eine Tagesspiegel-Umfrage ergab, dass die meisten Händler noch keine Entscheidungen getroffen haben. Eine Ausnahme sind die Potsdamer-Platz-Arkaden: „Wir werden montags bis sonnabends bis 22 Uhr öffnen“, kündigte Centermanager Thomas Sänger an. Dagegen teilte das KaDeWe mit, der Umgang mit den künftigen Freiheiten sei bisher „völlig offen“. Auch der Kaufhof am Alexanderplatz legte sich nicht fest.

Berlins Spätverkaufs-Pionier ist das Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße: Es öffnet seit Jahren mit einer Sondergenehmigung an sechs Wochentagen bis 22 Uhr. Möglich sei eine Verlängerung bis 23 oder 24 Uhr. „Wir sind in der heißen Phase der Überlegungen“, sagte eine Sprecherin. Bislang mache das Kaufhaus 20 bis 30 Prozent des Umsatzes nach 19 Uhr. „Bedauerlich“ bleibe, dass der Sonntag nicht freigegeben werde.

Auch das Kaufhaus Galeries Lafayette an der Friedrichstraße will länger öffnen. „Wir überlegen drei Varianten: regelmäßig bis 22 Uhr, an bestimmten Tagen bis 22 oder 24 Uhr – oder eine Shoppingnacht pro Monat bis 24 Uhr“, sagte Vize-Geschäftsführer Volker Sellnau. Das Design-Center Stilwerk in der Kantstraße will die Kunden nach ihren Wünschen befragen. Centermanager Klaus Gennrich denkt an einen „langen Donnerstag“ bis 22 Uhr. Zusätzliche Öffnungszeiten an jedem Werktag seien unmöglich: Die Einrichtungsgeschäfte „können nicht einfach Aushilfen an die Kassen setzen“.

Stadtweit einheitliche Zeiten wird es nicht geben. Die Modekette C & A bewerte ihre Standorte unterschiedlich, sagt der Filialleiter im Neuen Ku’damm-Eck, Sebastian Rosendahl. Am Kurfürstendamm sei eine Verlängerung bis 21 oder 22 Uhr möglich. „Individuelle Entscheidungen“ je nach Standort kündigen der Warenhauskonzern Karstadt- Quelle und Metro (Kaufhof, Saturn, Media Markt) an. Die Lebensmittelgruppe Edeka, zu der Reichelt gehört, erwägt für manche Straßen längere Supermarkt-Öffnungszeiten. Während der Fußball-WM „hat es damit ganz gute Erfahrungen gegeben – allerdings nicht nach 22 Uhr“, so ein Sprecher.

Für den Ku’damm und die Tauentzienstraße erwartet Boris Kupsch, Betreiber des Internetportals www.kurfuerstendamm.de und Vorstandsmitglied der AG City, dass viele Läden bis 21 oder 22 Uhr öffnen wollen – und bei besonderen Anlässen bis Mitternacht. In Außenbezirken wie Zehlendorf schöpfen Läden dagegen nicht einmal die bisher zulässigen Zeiten aus. „Die meisten schließen zwischen 18 und 19 Uhr“, bestätigt Thomas Herrmann vom Verein „Zehlendorf-Mitte-Marketing“. In der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg „bleibt die Mehrheit wohl bei 20 Uhr“, vermutet der Vorsitzende der Straßenarbeitsgemeinschaft, Thomas Bong. Unbefriedigende Umsätze während der WM-Abende hätten das Interesse gedämpft. „Nach meiner persönlichen Meinung ist der Spätverkauf sowieso familienpolitisch falsch und geht zu Lasten berufstätiger Mütter.“

Die Gewerkschaft Verdi befürchtet, dass Mehreinnahmen ausbleiben werden und dies zu Einsparungen beim Personal führt. Viele Vollzeitkräfte und „gehobene Teilzeitkräfte“ könnten durch Aushilfen ersetzt werden, sagt Verdi-Handelsexpertin Erika Ritter. Kürzungen drohen auch bei den 20- bis 60-prozentigen Lohnzuschlägen für abendliche Arbeitszeiten, die der Manteltarifvertrag regelt. Für den Fall, dass der Ladenschluss abgeschafft wird, hatten die Berliner Arbeitgeber ein Recht zur vorzeitigen Vertragskündigung durchgesetzt.

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