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Berlin: Elektro-Antiquariat: "Ich würde sagen, wir sind ein Bastlergeschäft"

Chaos. Das Wort drängt sich auf beim Anblick von Jochen Zscherpers Laden.

Chaos. Das Wort drängt sich auf beim Anblick von Jochen Zscherpers Laden. In dem Geschäft in der Friedrichshainer Niederbarnimstraße ist so ziemlich alles versammelt, was die Elektronikindustrie, Sparte Unterhaltung, je produziert hat. Plattenspieler, Kassettenrecorder, Röhrenradios, Fernbedienungen, Lautsprecher, Fernseher, Videorecorder. Und alles gleich stapelweise. An jeder Wand des Raums stehen Metallregale, sogar vor den Schaufenstern. In den Regalen liegen unzählige Ersatzteile und warten auf den Tag, da ein Produkt der Elektronikindustrie, Sparte Unterhaltung, repariert werden muss. Kabel hängen in Bündeln von den Regalen. In der Mitte des Raums stehen Tische, darauf wuchtige Messgeräte und Fernseher, so dass drum herum nur ein schmaler Gang frei bleibt.

Wenn Jochen Zscherper an seinem Schreibtisch in der Ecke sitzt, ist der massige Mann mit dem Vollbart von der Ladentür aus nicht zu sehen, verschanzt hinter einem Wall aus Elektronik. "Es sieht schon kurios aus hier", bemerkt Jochen Zscherper. "Aber wir wissen schon, was wo ist. Wir wissen Bescheid." Der 42-jährige verweist auf die kleinen rosa Zettel, die an einigen Stellen Auskunft über das dort Gelagerte geben. "Genau", kommt es aus der anderen Ecke des Ladens hinter dem Gerätewall hervor. Dort sitzen Peer und Mütze, Zscherpers Kumpels. Kaum einmal spricht der Ladenbesitzer Zscherper in der ersten Person, wenn es um sein Geschäft geht. Immer bezieht er seine Freunde mit ein. "Wir lassen uns nicht unterkriegen" oder "Wir besorgen donnerstags Ersatzteile".

Peer trinkt ein Bier, Mütze raucht Zigarillo, sie unterhalten sich leise. Wenn sie Freizeit haben, kommen sie her. An den beiden vorbei führt der Weg in die Einzimmerwohung hinter dem Ladengeschäft. Hier wohnt Jochen Zscherper. Eine Küche hat er nicht mehr, denn die wurde während der Sanierung des Hauses Anfang des Jahres nicht fertig. Alte Tapetenlagen rollen sich ein. An den Türen fehlen die Schwellen, der Boden im Gang besteht aus rohem Beton. Die Küche ist jetzt Lager, jeder Quadratzentimeter ist voll gestellt mit Kisten und Geräten, das Fenster verschwindet hinter dem Berg. Der Rest seiner Bestände lagert im Keller.

Erst hatte er sein Geschäft in der Samariterstraße, dann in der Gubener Straße. Jedes Mal stellten sie ihm Baugerüste vor die Tür. Dieses Mal hat es ihn fast die Existenz gekostet. "Das Geschäft ist nur schwer gelaufen", erinnert sich Zscherper. Jetzt kommt wieder Geld in die Kasse, seine Mietschulden stottert er ab. Ganz ruhig erzählt er das. Ärger oder Wut scheinen dem Mann in der grauen Jogginghose fremd.

Seit rund 20 Jahren repariert Jochen Zscherper Radios und Fernseher. Der gebürtige Meissner kam mit den Eltern nach Berlin und lernte hier Rundfunk- und Fernsehtechniker, im DDR-Deutsch "Funkmechaniker". 1985 eröffnete er seinen Laden und wußte schon damals, dass er sich damit gegen eine eigene Familie entschieden hatte. "Das wäre sonst gar nicht gegangen", sagt er. Für Frau und Kinder bliebe eben zu wenig Zeit. Der Laden ist unter der Woche von 10 bis 20 Uhr und am Samstag bis 16 Uhr geöffnet. "Für die berufstätigen Kunden." Und nach Ladenschluss, da "geht es los". Da hat er endlich die Ruhe, um sich auf die Reparaturen zu konzentrieren. Oft sitzt er bis ein Uhr nachts über den Geräten.

Der Funkmechaniker bringt nicht nur Geräte nach DDR-Standard wieder in Ordnung. Nach der Wende hat er sich auch in westdeutsche und internationale Technik eingearbeitet. Neben dem Fernseher aus Ost-Fabrikation steht eine japanische Flimmerkiste zur Reparatur. Besonders stolz ist Jochen Zscherper auf sein Wissen um die Computertechnik. Allerdings, die neueren Entwicklungen der Branche gehen an ihm vorbei. "Wir reparieren alles vom Commodore 64 und Amiga über den 2-86er bis zum Pentium 70." Er hat daher auch Joysticks, Tastaturen, Drucker, Laufwerke und Bildschirme für die Oldies am Lager. Zum Beispiel einen Schneider-Monitor für 20 Mark. Dass man damit nicht ins Internet kommt, gibt Jochen Zscherper zu. "Aber ich will das gar nicht mehr können. Das wächst mir sonst über den Kopf mit dem ganzen Internet."

Sein eigener Computer ist auch aus einer älteren Baureihe, die damit produzierten Inventurlisten haben den faden Charme eines Nadeldruckers. Das Angebot des Friedrichshainer Ladens runden Second Hand-Schallplatten und CDs ab. Die nimmt Zscherper von seinen Kunden in Kommission und verkauft sie weiter - mehr als zehn Mark kostet kein Tonträger. Ein musikalischer Schwerpunkt ist nicht zu erkennen: Karel Gott steht neben Cabaret, Operette neben deutschem Schlager. Kundengeschmack eben. Manchmal verschenken Jochen, Peer und Mütze ein Stück aus der Sammlung, als Gegenleistung für ein kaputtes Gerät, das noch zum Ausschlachten taugt.

Für das Durcheinander, das ihn umgibt, hat Jochen Zscherper einen Namen: "Ich würde sagen, wir sind ein Bastlergeschäft." Und er habe schon Bastlergeschäfte gesehen, die hätten noch viel chaotischer ausgesehen als seines. "Da konnte ich gar nicht rein laufen." Den Mann mit dem kugeligen Bauch stört der Zustand seines Ladens auch nicht. "Viele Leute brauchen so einen Kleinkram. Wir haben das all die Jahre so durchgezogen." Und manchmal hat es sogar Jahre gedauert, bis ein Gerät endlich repariert war - gerade DDR-Ersatzteile seien eben nur noch schwer zu kriegen. Die Geduld der Kunden versucht er, durch Gespräche und Freundlichkeit zu verlängern. Offensichtlich funktioniert das, denn Zscherper freut sich über einige Stammkundschaft. Und die komme gern auf ein "Pläuschchen" vorbei. Selten ist der Chef alleine im Laden. Häufig stehen ein paar Männer vor der Ladentür und reden. "Hier ist es immer lustig." Peer und Mütze nicken lächelnd.

Jasmin Jouhar

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