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Berlin: Elisabeth Klutschewskaja, geb. 1924

Elisabeth Klutschewskaja liebte Autos. Noch mehr liebte sie die Malerei.

Elisabeth Klutschewskaja liebte Autos. Noch mehr liebte sie die Malerei. Und so erfand die Malerin eine Technik, mit der sie beides verbinden konnte: "Malen aus dem Autofenster". Auf der heruntergelassenen Klappe des Handschuhfachs fand der Aquarellkasten Platz. Auf dem Beifahrersitz lag der Zeichenblock. So fuhr sie mit ihrem Lada durch die Altstadt Moskaus oder Berlins. Wenn ihr eine Kirche oder ein Hinterhof besonders gut gefielen, malte sie mit schnellen Pinselstrichen. So entstanden Bilder, auf denen die Menschen sich schemenhaft vor Häusern, Straßenecken und Kirchen bewegen.

Elisabeth Klutschewskajas Bilder konservieren das Moskau der 20er und 30er Jahre. Eine Zeit, an die Elisabeth Klutschewskaja kaum eigene Erinnerungen hatte. Mit vier Jahren verließ sie ihre Geburtstadt, wuchs in Frankreich und Berlin auf. Die Erzählungen der Mutter über Russland, Moskau, die Häuser des Stadtteils Arbat, den Schnee und die Musik hielten die Liebe für die russische Lebensweise wach.

Elisabeth Klutschewskaja lebte zwischen den Kulturen. In Moskau blieb sie die seltsame Deutsche. In Deutschland war sie die unbequeme russische Malerin. Elisabeth Klutschewskaja, weder ganz Russin noch ganz Deutsche, war eine Europäerin. 1924 in Moskau geboren, wächst sie auf in einer gutbürgerlichen Familie, in der alter französischer Adel und neuer Militäradel sich im 19. Jahrhundert vereint hatten. Als die Mutter mit ihr 1928 Moskau verließ, gingen sie zuerst zu Verwandten nach Köln, dann nach Frankreich. Ihre Schulzeit verbrachte sie in einem Internat in Nizza und schließlich in einem russisches Gymnasium in Berlin. Damals war ihr außergewöhnliches Talent bereits offensichtlich. Sie bewarb sich mit 100 anderen Interessierten an der Hochschule der Künste in Berlin. Und mitten im Zweiten Weltkrieg gehörte die staatenlose Russin zu den fünf Bewerbern, die zum Studium angenommen wurden.

"Meine Mutter war kein politischer Mensch", sagt ihr Sohn Alexej. "Sie war auch keine Kommunistin. Doch die antirussische Propaganda des faschistischen Deutschlands verletzte sie und machte sie gleichzeitig verdächtig." Als sie - sie musste das Studium selbst verdienen - technische Zeichnungen für militärische Konstruktionen anfertigen sollte, machte sie bewusst Fehler. Elisabeth Klutschewskaja wurde der Sabotage bezichtigt und musste zum Arbeitsdienst auf ein ostschlesisches Gut. Das war 1944. Die zierliche Russin hatte Glück. Sie eroberte die Herzen der Gutsfamilie mit dem Pinsel. Porträts der Familie und der Nachbarn entstanden. Schon bald wurde sie als Familienmitglied behandelt.

Nach Kriegsende zog die Malerin nach Ost-Berlin. In der Galerie "Maison de France" hatte sie 1947 ihre erste eigene Ausstellung, doch dann es gab einen triftigen Grund, die Malerei für einige Jahre hintanstehen zu lassen. Sie bekam einen Sohn, Alexej. Dessen Vater, die Liebe ihres Lebens, gilt bis heute als verschollen. Elisabeth Klutschweskaja blieb immer überzeugt davon, dass man ihn verschleppt und getötet hatte. Nie wieder ließ sie sich auf eine Beziehung ein.

Elisabeth Klutschewskaja arbeitete als Dolmetscherin und Journalistin, illustrierte Kinderbücher weil sie, wie sie sagte, für Alexej sorgen musste und dringend Geld brauchte. "Das allein war es sicher nicht", sagt Alexej. "Ich glaube meine Mutter wollte ihre Abenteuerlust ausleben. Sie war eine sehr aktive neugierige Frau." Als Korrespondentin für die DDR-Publikationen "Junge Welt", "Freie Welt" und "Bildende Kunst" unternahm sie ab 1957 Reisen in die entlegensten Winkel Russlands. Bald bezog sie eine Wohnung in Moskau. Doch die Brücken nach Berlin brach sie nicht ab, auch hier behielt sie eine kleinere Wohnung. "In Moskau fehlte ihr Berlin. In Berlin fehlte ihr Moskau", sagt ihr Sohn. Dann und wann fehlte ihr auch die Malerei. "Das konnte man spüren. Wenn sie nicht malen konnte, oder ein Bild nicht fertig war, war sie oft launisch. Wenn sie ihre Bilder fertig hatte, habe ich aufgeatmet, dann war sie wieder bester Dinge."

Ende der sechziger Jahre werden die Ausstellungen der Malerin häufiger. In Berlin und Moskau wurden ihre Bilder gezeigt. Künstlerisch entdeckte Elisabeth Klutschewskaja die Zyklen für sich. Fasziniert von Dostojewskis und Bulgakovs Literatur ging sie deren Wegen nach. Der Zyklus "Dostojewskis Moskau" entstand. Heute hängen die Bilder in Dostojewskis Museums-Wohnung. In den folgenden Jahren arbeitete sie für Ausstellungen wie "1000 Jahre orthodoxe Kirche in Moskau". Eine Reihe von Bildern zum Thema "Historische Berliner S-Bahnhöfe" entstand. Über all die Jahre war sie dem Aquarellieren treu geblieben. Es war ihre Technik.

Der tödliche Unfall ihres Enkelsohns Konstantin in Moskau ließ bei der Künstlerin eine Krankheit ausbrechen. "Vielleicht hatte meine Mutter schon vorher Alzheimer. Doch als mein Sohn starb, brach die Krankheit von einem Tag auf den anderen mit Macht aus", sagt Alexej. Innerhalb kurzer Zeit brauchte sie jemanden, der sich um sie kümmerte. Alexej übernahm die Aufgabe.

Elisabeth Klutschweskaja hörte nicht auf zu malen. Doch mehr und mehr verschwand der entschlossene flüssige Pinselstrich aus ihren Bildern. Fahrig, zerfahren, zittrig wurden nun die Linien, mit denen sie jetzt immer häufiger Entsetzen und Verzweiflung auf Papier bannte. Mitte der 90er Jahre holte Alexej seine Mutter wieder nach Berlin. Er verbot ihr das Autofahren. "Das war furchtbar für sie, aber es wurde zu gefährlich." Mutter und Sohn pendelten mit dem Flugzeug zwischen Moskau und Berlin. Am 12. November 2000 starteten die beiden zum letzten Mal gemeinsam auf dem Moskauer Flughafen. Berlin sollte die Malerin nicht mehr wiedersehen. 30 Flugminuten vor Berlin starb Elisabeth Klutschewskaja.

Ursula Engel

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