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Kopfzerbrechen. Die Zeiten, wo die kürzeste BVG-Verbindung in Berlin über den Schulplatz entsteht, sind vorbei. Schüler und Eltern stehen jetzt vor der Frage, wie es nach der Grundschule weitergehen soll.

© Kitty Kleist-Heinrich

Jagd auf das Wunschgymnasium: Eltern auf dem Rechtsweg

Auswahl anhand von Notendurchschnitt und Losverfahren - die neuen Aufnahmekriterien an Berliner Oberschulen sorgen bereits vor Beginn des Anmeldeverfahrens für Unruhe. Viele Eltern wollen klagen, um ihr Kind am Wunschgymnasium unterzubringen.

Von Carla Neuhaus

Wie alle Mütter will Britta Kempke nur das Beste für ihre Tochter. Im Sommer wechselt die 12-jährige Aylin von der Grundschule aufs Gymnasium. Erster Wunsch der Familie Kempke ist das Dreilinden-Gymnasium in Wannsee. Falls das nicht klappt und auch aus dem Zweit- und Drittwunsch nichts wird, weiß Juristin Britta Kempke schon jetzt: „Notfalls werden wir den Schulplatz einklagen.“

Mit dieser Meinung steht sie nicht allein da. Zahlreiche Eltern machen sich derzeit Gedanken darüber, wie sie ihrem Kind auf dem Rechtsweg einen Platz in der Wunschschule sichern können. „Es ist gut möglich, dass es zu einer Klagewelle kommt“, sagt Günter Peiritsch, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin. Die Verunsicherung der Eltern sei groß. Das merkt auch Rechtsanwältin Simone Pietsch. Sie führt bereits jetzt jeden Tag im Schnitt drei Beratungsgespräche mit besorgten Eltern. Dabei ist es für Klagen jetzt noch zu früh. Denn das Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen beginnt erst am heutigen Montag.

Grund für die Sorge der Eltern sind die neuen Aufnahmekriterien an den Berliner Oberschulen. Danach wählen die Schulen 60 Prozent der Schüler selbst aus, 30 Prozent der Plätze werden verlost, zehn Prozent gehen an Härtefälle. Außerdem wurde das Wohnortprinzip abgeschafft: In der Vergangenheit zählte die kürzeste BVG-Verbindung als Kriterium bei der Schulplatzvergabe. Jetzt suchen stattdessen mehr als die Hälfte der weiterführenden Schulen in Berlin ihre künftigen Schüler anhand des Notendurchschnitts aus. Die Unwägbarkeiten des neuen Verfahrens sind hoch. Es ist derzeit kaum abzuschätzen, wie viele Schüler sich an den besonders beliebten Oberschulen bewerben und wie hoch dort dann der Numerus clausus liegen wird.

Eltern, die nach Verteilung der Plätze von ihrer Wunschschule einen Ablehnungsbescheid bekommen, haben vier Wochen Zeit zu reagieren. „Danach ist der Bescheid rechtskräftig“, sagt Rechtsanwältin Pietsch. Die Kinder werden dann einer anderen Schule zugeteilt, die noch Plätze frei hat. Wollen die Eltern juristisch gegen die Ablehnung vorgehen, ist der erste Schritt der Widerspruch beim Bezirksamt. Ohne einen Rechtsanwalt kommen die Eltern an dieser Stelle jedoch nicht weiter. Denn um den Widerspruch juristisch begründen zu können, müssen sie Einsicht in die Akten der betreffenden Schule beantragen, und das darf nur ein Anwalt tun. Der prüft dann, ob jeder einzelne Schüler im entsprechenden Jahrgang zu Recht an der Schule aufgenommen wurde. „Die Chancen stehen sehr gut, dabei Fehler zu finden“, sagt Pietsch. Ein solcher Fehler läge zum Beispiel vor, wenn bei einem Kind der Notendurchschnitt falsch berechnet wurde oder wenn ein Kind aufgenommen wird, das bereits in der fünften Klasse auf ein Gymnasium gewechselt ist. Denn diese sogenannten „grundständigen“ Schüler müssen nachrangig behandelt werden. Lehnt das Bezirksamt den Widerspruch ab, können die Eltern einen Schritt weitergehen und vor dem Verwaltungsgericht Klage einreichen. Wie erfolgreich eine solche Klage nach Einführung der neuen Aufnahmekriterien sein wird, ist unklar. „Wir haben jetzt zwar einen Gesetzestext, wissen aber noch nicht, wie die Gerichte damit umgehen werden“, sagt Pietsch. In der Vergangenheit seien ungefähr ein Drittel der Schüler am Ende des Verfahrens doch noch an ihrer Wunschschule gelandet.

Selbst wenn es dem Anwalt nicht gelingt, der Schule im ersten Schritt einen Verwaltungsfehler nachzuweisen, kann eine Klage sinnvoll sein, meint Pietsch. Die Juristin nennt das eine „olympische Klage“. Rechtlich gesehen ist die zwar wenig Erfolg versprechend, aber sie hat einen anderen, großen Vorteil: Der Schüler bleibt im Rennen. Denn solange ein Verfahren läuft, ist der Ablehnungsbescheid nicht rechtskräftig. Wird in dieser Zeit an der Wunschschule plötzlich ein Platz frei, weil zum Beispiel eine Familie wegzieht, kann das Kind der Klägerfamilie mit etwas Glück nachrücken. Bei einem bereits rechtskräftigen Ablehnungsbescheid wäre das nicht möglich.

Eines sollten Eltern, die klagen wollen, jedoch wissen: Oft fällt die Entscheidung, ob das Kind doch noch nachträglich an der Wunschschule angenommen wird, erst sehr spät. Bei einer Familie, die im letzten Jahr ihren Sohn an einer Schule einklagte, kam der Bescheid erst zwei Tage vor Ferienende.

Alternativ können die Eltern auch versuchen, gegen die Notengebung an den Grundschulen vorzugehen. Eine Klage gegen einzelne Noten hält Pietsch im Normalfall jedoch für nicht sehr sinnvoll. „Es war schon immer sehr schwer, gegen einzelne Noten vorzugehen“, sagt sie. Als vielversprechend sieht die Anwältin hingegen eine Klage an, die auf die Vergleichbarkeit der Noten unter den verschiedenen Grundschulen abzielt. Derzeit haben die Schulen einen gewissen Spielraum, so dass es für eine bestimmte Punktzahl in einer Klassenarbeit an der einen Grundschule die Note eins und an der anderen die Note zwei geben kann.

Bereits jetzt zeichnet sich ab: Viele Eltern werden wie Britta Kempke denken und im Zweifel klagen. Sie will jedenfalls für Aylins Schulplatz kämpfen.

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