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Berlin: Eltern vor Gericht, weil Kinder schwänzen

Heute Verhandlung gegen Kreuzberger Ehepaar. 15000 Schüler bleiben jährlich mehr als 20 Tage dem Unterricht fern

Von Kerstin Gehrke

und Susanne Vieth-Entus

Die große Schwester schwänzte, was das Zeug hielt, da wollte auch die kleine nicht nachstehen: Am heutigen Dienstag stehen die Eltern der beiden wegen Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht vor dem Amtsgericht Tiergarten. Es geht um insgesamt 90 verpasste Unterrichtstage – immerhin rund ein Drittel eines Schuljahres. Dem Ehepaar aus Bosnien-Herzegowina droht eine Geldstrafe von bis zu 2500 Euro.

Es muss schon ziemlich viel passieren, damit Eltern wegen Schulversäumnissen vor Gericht landen. „Zunächst müssen die Lehrer durch Hausbesuche versuchen, die Familien auf die Schulversäumnisse hinzuweisen“, erläutert die Kreuzberger Schulamtsleiterin Martina Belicke. Wenn sich etwa herausstelle, dass die Eltern morgens vor den Kindern aus dem Haus müssen, könne man etwa einen Familienhelfer vorbeischicken, der eine Weile darauf achtet, dass die Kinder der Schulpflicht nachkommen. Wenn alles nicht helfe, gebe es ein Bußgeldverfahren. Rund zehn Kreuzberger Fälle pro Jahr enden vor Gericht, einer von ihnen ist der Fall der beiden Schwestern.

Kreuzberg-Friedrichshain gehört mit Neukölln und Mitte zu den Schwänzer-Hochburgen. Generell gilt: Je größer die Armut und je geringer die Chancen auf einen Ausbildungsplatz, desto geringer die Bereitschaft der Jugendlichen, regelmäßig am Unterricht teilzunehmen. Am schwersten haben es Haupt- und Sonderschulen mit hoher Ausländerrate, ihre Zöglinge bei der Stange zu halten: Hier fehlt ständig fast jeder fünfte Schüler.

Die Lehrer sind schon zeitlich kaum in der Lage, bei jedem Schulversäumnis Kontakt zu den Eltern aufzunehmen. Allein in Kreuzberg fehlten im Schuljahr 2001/02 insgesamt 364 Schüler mehr als 40 Tage. In Mitte waren es 458, in Neukölln 597. Berlinweit zählen über 4000 Schüler zu diese Gruppe, fast 11000 schwänzen 21 bis 40 Tage. Neuköllns Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) hat aufgrund der schwierigen Sozialstruktur seines Bezirkes die meisten Erfahrungen mit dem Problem. Seit langem kümmert sich eine Teilzeitkraft im Bezirksamt um nichts anderes als die Schulversäumnisse. Allein im Jahr 2003 musste sie rund 1000 Fälle verfolgen, die von den Schulen gemeldet worden waren. Für immerhin 158 Eltern endete dies mit einem Bußgeldbescheid. In 34 Fällen wurden die Schwänzer „polizeilich zugeführt“, berichtet Schimmang. Einige weitere Fälle landeten vor Gericht.

Der jüngste Fall liegt erst eine Woche zurück. Da wurde ein Neuköllner Vater zur Zahlung von 230 Euro verpflichtet, weil seine Tochter monatelang nicht in der Schule erschienen war. Ein Bremer Gericht lehnte unterdessen am Dienstag den Antrag der Bremer Schulbehörde ab, eine Schulschwänzerin durch Haft zum Schulbesuch zu drängen.

Offen ist, wie es heute für das Ehepaar aus Bosnien-Herzegowina ausgehen wird. Ihre inzwischen 16-jährige Tochter hatte 2002 51 Tage lang ihre Kreuzberger Schule für Lernbehinderte geschwänzt. Die zwölfjährige Schwester tat es ihr 2003 nach, indem sie an 39 Tagen die Grundschule schwänzte.

Tipps gegen das Schuleschwänzen auch unter dem Stichwort „Schuldis- tanz“ unter www.senbjs.berlin.de

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