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Berlin: Ende der Dröhnung

In Pankow zählen sie die Tage bis zur Schließung des Flughafens Tegel.

Im Café Canapé in Pankow zählen sie die Tage runter. An der Hauswand in der Wolfshagener Straße hängt eine Tafel, auf die täglich die aktuelle Zahl geschrieben wird: Wie lange noch bis zum 2. Juni? An diesem Tag endet unwiderruflich der Flugbetrieb in Tegel. „Wenn das letzte Flugzeug über uns rübergedonnert ist“, sagt Inhaberin Renate Laurentius, „dann knallen bei uns die Sektkorken.“

Viele Pankower, die rund um die Breite Straße und den Bürgerpark leben oder arbeiten, sehnen diesen 2. Juni wie einen Festtag herbei. Denn über den Stadtteil wird sich eine seit Jahrzehnten unbekannte Ruhe legen. Noch rauschen die Flieger im steten Rhythmus heran, in den Stoßzeiten verdichtet sich der Takt auf zwei Minuten oder noch weniger. In 150 bis 200 Metern Höhe überqueren die Maschinen bei ihrem Landeanflug das Pankower Zentrum, das jedes Mal vom Gedröhne der Turbinen betäubt wird. Wer sich an einem lauen Abend auf der Wiese im Bürgerpark ausruht und in den Himmel blickt, der meint die Bäuche der Flugzeuge von unten kitzeln zu können.

An der Westspitze des Bürgerparks liegt der Kinderbauernhof Pinke Panke. Hier haben die Erzieher über die Jahre lernen müssen, mit dem Fluglärm umzugehen. „Bei Proben für Theateraufführungen haben wir den Kindern mühsam beigebracht, das Spiel bei jedem ankommenden Flugzeug zu unterbrechen“, erzählt Mitarbeiterin Petra Rickensdorf. Ansonsten wäre der Text vom Krach verschluckt worden. Auch die Erzieher selbst haben sich angewöhnt, beim Sprechen Pausen einzulegen. Die Stimme erheben oder gar schreien macht keinen Sinn – die Flugzeuge sind am Ende doch lauter.

Einen kleinen Vorgeschmack auf das Leben nach der Schließung Tegels bekamen die Pankower im Mai 2010, als die Aschewolke eines isländischen Vulkans den europäischen Flugverkehr für einige Tage stoppte. Da erst sei ihr bewusst geworden, sagt Rickensdorf, „wie sehr man es schafft, den Lärm zu ignorieren und zu unterdrücken“.

Auch Heidelinde Elstner kann sich an die merkwürdige Stille während der Flugpause gut erinnern. Die Verwaltungsdirektorin des Krankenhauses „Maria Heimsuchung“ nahm plötzlich viel deutlicher das Vogelgezwitscher wahr, das aus dem Park um das Krankenhaus in ihr Büro klang. Die Flugzeuge hingegen bemerkt sie sei langem kaum noch. „Ich freue mich vor allem für unsere Patienten“, sagt Elstner. Gerade in den oberen Etagen sei der Lärm eine Belastung. Die neue Ruhe werde allen guttun.

Allein in die Kirche „Zu den vier Evangelisten“ wird mit dem Sommer keine wirkliche Stille einkehren. Das Gotteshaus liegt in der Mitte der Breiten Straße, auf allen Seiten vom Verkehrslärm umtost. Seit über 30 Jahren ist Ruth Misselwitz Pfarrerin der Gemeinde. Als sie 1981 nach Pankow zog, glaubte sie es keine zwei Wochen lang auszuhalten. Aber dann hat auch sie sich im Laufe der Zeit an die Situation angepasst. Das Ende des Flugbetriebs in Tegel empfindet sie als „große Entlastung“, während der Gottesdienste sei die Gemeinde zumindest „von einem Übel befreit“.

Was Misselwitz Sorge bereitet, ist die rapide Veränderung des Kiezes. Seit der endgültigen Entscheidung für Schönefeld sind die Grundstückspreise und Mieten rasant gestiegen. Die Pfarrerin befürchtet einen schleichenden Bevölkerungsaustausch, so, wie er sich in der Vergangenheit in Prenzlauer Berg vollzogen hat. Das attraktive Wohnumfeld in einem Pankow ohne Flugzeuge könne dazu führen, dass künftig nur noch wohlhabende Menschen in der Lage seien, sich das Leben in dem Stadtteil zu leisten.

Dass solche Ängste nicht unbegründet sind, belegt ein aktuelles Bauprojekt in der Ossietzkystraße. Nur einen Steinwurf entfernt von der Breiten Straße entsteht ein modernes Stadthaus mit 26 Eigentumswohnungen. Noch bevor die Baugrube vollständig ausgehoben war, verkündete die verantwortliche Immobiliengesellschaft im Bautagebuch auf ihrer Webseite, dass bereits 90 Prozent der Wohnungen verkauft seien. Bei bis zu 190 Quadratmetern Wohnfläche kostet der Quadratmeter zwischen 2650 und 3350 Euro.

Pankow boomt: Bei der Zahl der Bauanträge für Neubauten und Sanierungen lag der Bezirk 2011 weit vor allen anderen. Jens-Holger Kirchner, Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, findet diese Dynamik „außerordentlich begrüßenswert“. Er erinnere sich noch sehr genau, wo der Stadtteil 1989 mit seiner maroden Infrastruktur gestanden habe. „Ich habe nichts gegen eine Aufwertung der Pankower Innenstadt“, sagt Kirchner, „ich habe nichts gegen junge Familien, die hierherziehen und ich habe auch nichts gegen Leute, die Geld verdienen.“ Die Preisexplosion auf dem Mietmarkt aber beobachtet auch er mit Unbehagen.

Dass er irgendwann einmal die Flugzeuge vermissen werde, kann sich der Grünen-Politiker nicht vorstellen. „Lärm macht krank.“ Die Proteste der Menschen im Süden der Stadt kann er wie viele andere in Pankow gut nachvollziehen. Zuletzt sei ihm das höllische Getöse der Flugzeuge aufgefallen, als der Papst nach Berlin kam, der von zwei Abfangjägern begleitet wurde. Da habe jeder in Pankow gewusst, wann genau der Heilige Vater gelandet sei.

Am 3. Juni soll auf dem Anger in Pankow eine große Fliegerabschiedsparty steigen, die Vorbereitungen sind angelaufen. In der Kirchengemeinde Alt Pankow freut sich Pfarrerin Misselwitz auf das Sommerfest, wenn der Kinderchor erstmals auf der Terrasse des Gemeindehauses auftreten kann und nicht wieder nach drinnen ausweichen muss. Und im Kinderbauernhof Pinke Panke warten sie ab, ob sie in Zukunft vielleicht doch noch Kinokarriere machen. Vor einigen Jahren war das verwunschene Gelände als möglicher Drehort für den Film „Keinohrhasen“ im Gespräch. Als sich das Team von Til Schweiger aber vor Ort umguckte, brauchte es nur ein paar Flugzeuge. Dann war die Idee gestorben. Klaus Grimberg

Klaus Grimberg

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