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Wieland Giebel, langjähriger Chef.

© Kai-Uwe Heinrich

Ende der Story: Geschäfts-Sterben am Berliner Boulevard

Die Verleger Giebel und Lenze schließen ihre Läden Unter den Linden – wegen der U-5-Dauerbaustelle. Die ist nicht das einzige Problem der kriegsversehrten Prachtstraße. Was fehlt, ist eine Vision.

Bill Clinton kaufte eine Musikdose bei Frau Lu, George W. Bush ließ sich nicht blicken, jetzt hofft die Inhaberin des Souvenirshops „Tots“ neben der Sowjetischen Botschaft auf den noch amtierenden US-Präsidenten Barack Obama. Vielleicht interessiert er sich für die original Schwarzwälder Uhren. „Wir sind vorbereitet“, sagt Frau Lu und lacht. Geöffnet bleibt das Geschäft auf jeden Fall, auch wenn morgen nur noch Polizei und Secret Service Unter den westlichen Linden flanieren. „Die kaufen ja auch bei uns ein. Das reicht.“

Die Geschäftsleute der einstigen Prachtstraße, die seit Jahren unter der U-Bahn-Baustelle, Demonstrationen und Staatsbesuchen leidet, sind nicht alle so entspannt wie Frau Lu. Die Läden der „Berlin Story“ des Verlegergespanns Wieland Giebel und Enno Lenze schließen zum Ende des Jahres. „Hauptgrund ist der andauernde Umsatzeinbruch, der mit dem Beginn der Bauarbeiten für die U-Bahn-Linie 5 begann“, heißt es in einer Pressemitteilung der beiden Partner. Um 30 Prozent sei der Umsatz gesunken. Grund ist wohl auch das eher renditeschwache Bücher-Sortiment. „Wir sind der einzige Buchladen in der Straße“, sagt Giebel. Auch Frau Lu hatte vor 20 Jahren, als sie hier anfing, Bücher verkauft. „Zu mager, die Gewinnspanne“, sagt sie heute. Für Buchläden sind die geforderten Mieten längst zu hoch.

"Der Markt ist eigentlich gesättigt"

Nachmieter der drei Berlin-Story-Läden ist ein Berliner Souvenir-Großhändler, dem angeblich schon fünf Läden in der Straße gehören. „Der Markt ist eigentlich gesättigt. Jeder zweite Laden Unter den Linden ist ein Souvenirshop“, sagt ein Shop-Mitarbeiter. Offenbar herrscht ein heftiger Konkurrenzkampf um die besten Standorte in der Straße. Neben den Touristenshops gibt es nur noch wenige Branchen, hauptsächlich Cafés und Flagshipstores bekannter Marken, von Nivea bis VW. Unter den Linden ist eher was zum Repräsentieren, wirklich Geld verdient wird woanders.

Ob die Touristen wirklich ausbleiben, wegen der unansehnlichen Baustelle, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen in der Straße. Karlheinz Lubojanski, Betriebsleiter im Einstein-Restaurant, glaubt nicht an den Umsatzkiller U-Bahn. „Von Donnerstag bis Sonntag ist es hier gut gefüllt, eine der vollsten Straßen in der Stadt“, sagt Lubojanski. Die Linden seien eben auch dann attraktiv, wenn nicht viel von ihnen zu sehen ist. Viele Anrainer nutzen die lange Baustellenphase von U 5 und Staatsoper, um in ihrem Schatten selbst eine einzurichten. Die ehemalige polnische Botschaft ist abgerissen, das Restaurant Berlin-Moscow im Bundestagsgebäude steht leer, Apollo-Optik baut um. Auch das historische Gebäude, in dem die Berlin-Story-Läden untergebracht sind, soll bald renoviert werden. Der Auszug habe damit aber nichts zu tun, sagt Giebel. Die Sanierung sei eigentlich schon seit 20 Jahren geplant, aber nie vollzogen worden.

Eine Vision für die Straße

Die U 5 soll 2019 eröffnet werden; wie lange der Mittelstreifen noch für die Baustelle gebraucht wird, ist unklar. Wenn Rot-Rot-Grün Unter den Linden tatsächlich in einen autofreien Boulevard verwandeln will, kommt nach der U 5 gleich die nächste Baustelle. Geschäftsleute wie Frau Lu und Herr Lubojanski haben sich längst damit arrangiert. „Damit leben wir“, sagt der Einstein-Chef. „Wir kämpfen weiter“, sagt die Shop-Inhaberin. Bei jedem Terroralarm würden Botschaften abgesperrt, und die Touristen bekommen es mit der Angst zu tun. In der Nähe vom Adlon sei aber auch nicht der schlechteste Standort. Das Hotel schickt seine Gäste gerne zu Tots, wenn sie Nussknacker aus deutscher Produktion suchen.

Die Linden ächzen immer noch unter dem architektonischen Erbe der DDR. Dass sie mal „fertig“ sein werden, würde sich Gastronom Lubojanski zwar wünschen, aber wirklich realistisch ist das nicht. Wenn der Mittelstreifen wieder frei ist, könnten sich die Touristenströme dorthin verlagern, angelockt von der Sichtachse zwischen Brandenburger Tor und neuem Humboldt-Schloss. Dann wären die Linden zwar wieder Flaniermeile, aber für die Geschäftsleute würde die spontan einkehrende Laufkundschaft fehlen. Was sollen die Linden also sein, in Zukunft? Vielleicht regelt der neue Senat neben dem Verkehr ja auch gleich das große Ganze, entwickelt eine Vision für die Straße.

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