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Berlin: Endzeitfußball

Ein Spiel wie aus dem Computer: „Jugger“ ist der neue Trendsport in Mitte. Als Waffen tragen die Spieler Lanzen und Ketten – aus Schaumgummi

Zehn Spieler raufen sich auf einer verdorrten Wiese mit Kampfwerkzeuge, die wie riesige Wattestäbchen aussehen. Es staubt. Auf den Leibern der Männer glänzt der Schweiß. Ein Spieler wird an der Schulter getroffen. Der dumpfe Schlag lässt ihn zu Boden sinken. Der Angreifer schaut blitzschnell zur Seite, hebt seine Waffe und trifft mit einem kurzen, kontrollierten Schlag den nächsten Gegner. Szenen wie solche, die man aus Computerspielen kennt, kann man auf dem Michaelkirchplatz in Mitte live erleben. Jeden Sonntagnachmittag und Dienstagabend spielen Lester und seine Freunde auf der Wiese vor der Kirche aus rotem Backstein „Jugger“. Bei dem Spiel geht es darum, eine Hundeschädelattrappe über das Spielfeld zu treiben und in ein Loch zu stecken. Dazu muss allerdings erst die Mauer der gegnerischen Mannschaft durchbrochen werden. Pompfer nennen sich die Jugger-Spieler. Sie stehen sich jeweils zu fünft gegenüber. Was bedrohlich aussieht, ist jedoch harmlos. An den Enden ihrer Lanzen sind keine massiven Holzringe befestigt, sondern Schaumgummi.

Einer der Männer brüllt: „Drei, zwei, eins, Jugger!“ Das Spiel beginnt. Die Männer laufen mit festem Blick aufeinander zu, versuchen, den Schlägen der Gegner auszuweichen, ducken sich und bewegen die Kampfstäbe wie federleichte Degen hin und her. Wer vom Kampfstab getroffen wird, muss in die Hocke gehen und leise bis fünf zählen. Danach stürzt er wieder los.

Seit elf Jahren spielt Lester Balz Jugger. Damals hatte er den gleichnamigen australischen Endzeitfilm aus den späten Achtzigern zum ersten Mal gesehen. Die Kämpfer in dem Streifen ziehen von Dorf zu Dorf – denn Städte gibt es in der Endzeit nicht mehr – und treten gegen die besten Mannschaften an. Ihr Ball ist ein Hundeschädel. Teams aus Männern und Frauen kämpfen gegeneinander um die schönsten Frauen und Knaben des Ortes. Die Spieler der Berliner Mannschaft kommen nicht aus der fernen Zukunft, sondern aus Mitte, Pankow, Schöneberg oder Kreuzberg. Sie studieren Biologie oder Sozialwissenschaften, sind Polizist oder leben auf einer Bauwagenburg. Bei ihnen geht es auch nicht um schöne Knaben oder Frauen, sondern um Spaß. Und der Hundeschädel ist auch nur eine Attrappe.

Lesters Kopf ist frisch rasiert, seine Augen blicken durch eine Nickelbrille. Am liebsten kämpft er mit der Kette. Die ist nicht aus Eisen, sondern aus Plastik. Am Ende baumelt kein kopfgroßer Stein, sondern ein mit grauen Klebestreifen umwickelter Schaumgummiball. Lester, 29 Jahre alt und Graphikdesigner, hat den Berliner Jugger-Verein 1997 mitgegründet und die meisten Waffen und Endzeitgewänder aus Gummireifen und Lederlappen gebastelt. Ihre Kostüme tragen die Spieler aber nicht beim Training, sondern nur bei Schaukämpfen.

„Verletzungen sind beim Jugger im Gegensatz zum Fußball eher selten“, sagt Lester Balz: „Ich habe mir vor ein paar Monaten einmal den Daumen angebrochen, einer der Spieler ist mal rücklings hingefallen und hat sich dabei einen Schulterbruch zugezogen. Aber ansonsten haben wir mehr als ein paar blaue Flecke nicht abbekommen.“

Die lautstarken Kommandos der Spieler fallen auf in der Ruhe am Michaelkirchplatz. Ältere Herren und Fahrradfahrer bleiben verwundert stehen und beobachten das Hauen und Stechen. Auch Alex Krüger aus Schöneberg und sein Vater sind am Michaelkirchplatz stehen geblieben. Tollkühn macht sich der Zehnjährige über die Kampfstäbe und Ketten her, die am Spielfeldrand liegen. Er nimmt die Kette und schwingt sie dem Vater in den Bauch. Der Vater verzerrt gespielt das Gesicht. Der Sprössling freut sich. „Wir haben schon darüber nachgedacht, auch für Kinder ein Jugger-Team zu eröffnen“, sagt Lester und grinst.

„Die meisten Jugger-Spieler in unserem Team hatten früher mit Sport gar nichts am Hut“, sagt Lester. „Das Spiel mit den Waffen hat sie fasziniert. Schnell bemerkt man aber, dass es nicht nur darauf ankommt, geschickt mit der Waffe umzugehen, sondern dass es auch auf Kondition ankommt.“ Und deshalb beginnt das Training auch immer mit Dauerlauf und Liegestützen.

Bis zum Wochenende müssen die Jungs fit sein. Dann finden in Berlin die Deutschen Jugger-Meisterschaften statt. Teams aus Heidelberg, Freiburg, Hamburg, Bayern und Ostfriesland haben sich angekündigt. Auf welcher Wiese sich die Kämpfer am nächsten Wochenende gegenüber stehen werden, verraten sie jedoch nicht. Denn einen offiziellen Platz für ihren Endzeit-Wettstreit haben sie bisher noch nicht.

Wer den Ort der Meisterschaften wissen will, findet nähere Angaben unter www.jugger.de

Mandy Schielke

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