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Berlin: Er machte Geschichte in 32 Wochen

Tino Schwierzina, erster und letzter freigewählter Ost-Berliner Oberbürgermeister, starb mit 76 Jahren

Eine freundliche Gelassenheit umgab Tino Schwierzina gerade in den hektischen Tagen der Wendezeit. Er war der erste und letzte Oberbürgermeister OstBerlins, den die Ost-Berliner in freier Wahl bestimmen konnten. Er regierte die Halbstadt gerade mal 32 Wochen und zwei Tage, vom 30. Mai 1990 bis zum 11. Januar 1991, und hat in der kurzen Zeit Berliner Geschichte gemacht. Er stand für die östliche Hälfte des Magi-Senats aus Magistrat und Senat, der vom Mai 1990 bis zur Wahl des erste Gesamtberliner Abgeordnetenhauses am 2. Dezember 1990 die Vereinigung der Halbstädte vorbereitete. Gestern ist Tino Schwierzina im Alter von 76 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Für die Politik schien er eigentlich nicht geschaffen. Tino Schwierzina hatte sich von der SED und ihrem Regime fern gehalten. Er war Justitiar eines Betriebes der Fischwirtschaft. Den 13. August 1961, den Tag des Mauerbaus, verbrachte er mit einem Spaziergang, am nächsten Tag ließ er sich für zwei Wochen krank schreiben. Das sagte Schwierzina im November 1990, einen Monat vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus, in einem Interview, nachdem bekannt geworden war, dass er der Kampfgruppe seines Betriebs angehört hatte. Die Frage, warum er von der Mitgliedschaft in der Betriebskampfgruppe nicht vorher schon gesprochen habe, beantwortete er mit dem Satz: „Mir erschien das immer völlig normal. Das war ein regulärer Bestandteil der Vita vieler DDR-Bürger meines Alters.“

Die Worte lassen etwas ahnen von der Geduld und dem Kommunikationstalent, das einer haben musste, der in der Wendezeit Politik machte. Es war nicht nur die Vor-Zeit der Stadtvereinigung, es war eine Zeit des Misstrauens und der Missverständnisse. Schwierzina aber kommunizierte vom frühen Morgen bei der Lage im Roten Rathaus bis zum späten Abend, beim Bier, vielleicht bei einem Termin mit Walter Momper. Früher hatte er von Politik nichts wissen wollen, jetzt, mit 63, wollte er sie anderen nicht mehr überlassen. Er setzte sich mit aufgebrachten Müllmännern und mit Kulturschaffenden auseinander, er brachte Bürgerbewegte und CDU-Gesandte aus dem Westteil zusammen und vermittelte vor allem eins: Jetzt kommt zusammen, was zusammen gehört – und wir schaffen das.

Nach 1990 kamen etwas ruhigere Zeiten. Schwierzina wurde stellvertretender Präsident des Abgeordnetenhauses – und er leitete bis 1995 den Petitionsausschuss, wo man den Leuten unbürokratisch und ohne großes Aufsehen zu helfen versucht. wvb.

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